kommentar von Ralf Leonhardzur politischen Lage in Nicaragua: Die Reste einer linken Hoffnung
Die Welt ist voll mit Potentaten, die die Opposition ausschalten, Scheinwahlen abhalten, Familienangehörige in einflussreiche Positionen hieven und die Medien kontrollieren. Warum nehmen linksliberal denkende Menschen das in afrikanischen oder zentralasiatischen Ländern mit einem Achselzucken hin, reagieren in Nicaragua aber empfindlich?
Die sandinistische Revolution, die den zentralamerikanischen Staat 1979 von einer brutalen Familiendiktatur befreite, weckte weltweit die Hoffnung, dass soziale Gerechtigkeit und individuelle Freiheit vereinbar sind. Anders als im Fall von Kuba konnte sich auch die undogmatische Linke hinter das Projekt stellen, denn Nicaragua war nicht ein weiterer sowjetischer Vasallenstaat, sondern ein revolutionäres Experiment, das den Menschenrechten verpflichtet war und anfangs von fast allen Bevölkerungsschichten mitgetragen wurde.
Die Sandinisten pflegten freundliche Beziehungen zur Sozialdemokratie und versicherten sich mit der These, Marxismus und Christentum seien bestens kompatibel, der Solidarität kirchlicher Gruppen. Und die taz, die damals noch in den Kinderschuhen steckte, fand ein seelenverwandtes Projekt und leistete sich während der gesamten Revolutionsepoche einen Korrespondenten vor Ort.
Als die Revolution nach jahrelanger Zermürbung durch Wirtschaftsembargo und Krieg gegen die von den USA ausgerüsteten Konterrevolutionäre abgewählt wurde, war die Enttäuschung nicht nur in Nicaragua groß. Eine weltweit vernetzte Solidaritätsbewegung stellte sich die Sinnfrage.
Dass die folgenden wirtschaftsliberalen Regierungen Errungenschaften der Revolution demontieren würden, überraschte niemand. Daniel Ortega hat nach seiner Rückkehr an die Macht auf sozialem Gebiet gewiss einiges erreicht. Mit antiimperialistischer Rhetorik verbrämte klientelistische Wohlfahrtsprogramme, die bisher mit venezolanischen Petrodollars und guten Preisen für Exportprodukte finanziert wurden, sind aber zu wenig. Statt eine pluralistische Demokratie mit gesellschaftlicher Partizipation zu fördern, hat der ehemalige Revolutionskommandant den fragilen Rechtsstaat abgebaut, um seine Macht zu sichern und sich die Taschen zu füllen. Von der Revolution ist nur ein hohler Diskurs geblieben.
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