Meister des Rostfelds

Nachruf Zum Tod des „Spurensuchers“ und großen Kunstauslegers Raffael Rheinsberg

Im Weltkrieg geboren, war Raffael Rheinsberg sein Name ein Pfund, mit dem er wucherte. Gelernt als Former und Gießer, wegen eines Bootsdiebstahls im Jugendknast, begann er erst mit dreißig Jahren ein Studium der Gestaltung in Kiel. Dieser Raffael war ein stämmiger Kerl, ein Mann der Arbeit, mit Seehundsschneuzer und Hundeblick, der sich wie ein Tänzer bewegte. Selbst für Westberliner Verhältnisse war er eine Ausnahmeerscheinung.

Rheinsberg wurde ein Stadtwanderer und Sammler zum einen. Im schleswig-holsteinischen Eckernförde schnupperte er sich mit Frottagen von Ortsnamen und Fußwegdetails „Von Ecke zu Ecke“ (1986). Vom Berliner Nordbahnhof brachte er ein „Rostfeld“ (1982) in die Charlottenburger Galerie Gianozzo, bevor er es am Fundort noch einmal auslegte; in der Galerie ein Teppich von Objekten, im Freien die Miniatur einer bombardierten Stadt.

Seine Rostfelder bestanden aus allen denkbaren rostigen Eisenteilen, die er – verliebt in filigrane Details – auf dem Boden auslegte, halb Bild, halb Schrift. Die gesammelten Objekte hatten keineswegs die Lakonie von objets trouvés, im Gegenteil, er hauchte ihnen, Ding für Ding, eine flirrende Poesie ein.

Rheinsberg war ein Meister der sozialen Plastik zum anderen, ein Bildhauer mit Blick für das Werkstück, seine Geschichte, geschult am verlorenen Zusammenhang des Schrottplatzes. „Spurensucher“ nannte man damals Künstler mit einem starken Orts- und Geschichtsbezug. Das war aber nicht negativ gemeint.

Es gab in seinem Werk zwei Tendenzen, zu horten und zu ordnen. Entweder sammelte er Beispiele höchst unterschiedlicher Formen und brachte diese in ein unwiderlegbares Layout; alle Varianten seiner „Rostfelder“ sind dafür Beispiele.

Oder er verschaffte sich einen umfangreichen Schatz von Objekten gleicher Funktion, deren Abweichungen er im Aufbau poetisierte. So organisierte er in Brasilien Dutzende von Bohrköpfen, wie Goldgräber sie für den eigenen Gebrauch herstellen, die er wie gestrandete See­igel in Kolonnen auslegte, eine riesige Installation, die Rheinsberg „Ananas, Gold, Kokain“ (1982 ff.) betitelte.

Von Rio bis ins finnische Suomenlinna war er ein gern geladener Künstler, der nur eine Woche vor der Eröffnung anreiste, um sogleich seine Ortswanderung zu beginnen, „von der Peripherie ins Zentrum“, wie er selbst einmal preisgab. Geschult am historischen Schutt und Unrat Westberlins, entwickelte er gleich nach dem Mauerfall eine Leidenschaft für die bleichen Relikte Ostdeutschlands: „H1 – H45“ (1991) bestand aus sogenannten „Hydrantenabdeckungen“, Würfel, Pyramiden und Kegel in abenteuerlichen Varianten von Rot.

Die Kunsthalle Nürnberg zeigte damals mit einer Überblicksausstellung Raffael Rheinsbergs makellose Kontrolle des musealen Raums. Künstlerisch war er verwandt mit Richard Long in England und Arman aus Frankreich. Durchaus erfolgreich, blieb ihm dennoch der Zugang zu den ganz großen Bühnen des Kunstbetriebs rätselhafterweise verwehrt. Fast schon in Vergessenheit geraten, starb Rheinsberg am vergangenen Donnerstag mit 73 Jahren an Krebs, und zwar in einem Krankenhaus in Trier. Ulf Erdmann Ziegler