Schätze aus der Schublade

Wie Bremen fast ein Dorf mit U-Bahn geworden wäre: Eine beeindruckende Ausstellung im Bremer Zentrum für Baukultur zeigt, wie die Stadt aussehen könnte – im Guten wie im Schlechten

Von Henning Bleyl

62 Fallbeispiele aus 50 Jahren bremischen Planens sind derzeit im Bremer Zentrum für Baukultur (B.ZB) zu bestaunen – die aus verschiedensten Gründen nicht Wirklichkeit wurden. „Das Exemplarische wird in den ungebauten Entwürfen meist noch deutlicher als in der realisierten Architektur“, sagt dessen Leiter Eberhard Syring, der die Ausstellung zusammen mit Katrin Höpker und Thomas Pauls erarbeitet hat. Nicht alles sei befriedigend recherchierbar gewesen, aber für einen „ersten Blick ins Archiv“ des neu aufgebauten Zentrums, wie Sunke Herlyn vom B.ZB-Trägerverein die Ausstellung nennt, ist das Ergebnis geradezu überwältigend.

Denn: Herausgekommen ist keineswegs eine Papier-ist-geduldig-Ausstellung, sondern ein hochspannender Überblick über 50 Jahre bremischer Stadt- und Projektplanung, eine Revue verpasster Möglichkeiten und vermiedener Missetaten. Beispiel: Die Autobahn durch den Bürgerpark auf Höhe des Schwachhauser Rings, geplant 1969.

Als verpasste Chance erscheint hingegen die Gestaltung des Domshofs, wie sie Anfang der 80er die Berliner Architekten Bonanni, Lattermann und Stützel planten. Sie wollten das ohnehin zum Dom leicht ansteigende Gelände mittels einer zwei Meter hohen „tektonischen Woge“ aus rotem Sandstein erhöhen – die sich in Richtung Rathaus in verschiedenen Sitzstufen „gebrochen“ hätte. Diesem, auch von Bausenator Bernd Meyer favorisiertem Vorschlag folgte allerdings eine Woge der Entrüstung, an der zum Beispiel Domprediger Abramzik seinen Anteil hatte. Ein derartiger „Affenfelsen“ sei der Würde des Ortes nicht angemessen, zumal dieser die freie Sicht auf das Gotteshaus behindert hätte. Daraufhin gestaltete das Bauressort den Platz in Eigenregie mit dem heute bekannten Ergebnis.

Auch eine Scharoun‘sche Stadthalle hätte Bremen haben können: 1955 baute der Architekt ein Modell, das verdächtig an die Berliner Philharmonie gemahnt. Bremen entschied sich für den gerade entkernten Roland Rainer-Bau, ein Jahr später baute Scharoun in Berlin.

Auswahlkriterium für die Ausstellung sei in aller Regel gewesen, sagt Syring, dass die Projekte schon relativ weit entwickelt worden seien und ernsthaft diskutiert wurden. Eine Ausnahme stellen also die Planungen dar, das Focke-Museum an die „umgedrehte Kommode“ auf dem Stadtwerder zu verlegen, die ein kreativer Beamter des Bauressorts in den 80er Jahren entwickelte. Diese, obwohl potentialträchtig, drangen über eine internste Kreise nicht hinaus.

Nicht alle gezeigten Pläne sind im übrigen endgültig beerdigt. Die vier ineinander geschobenen Quader des „Musicon“-Modells etwa kanten unverdrossen in die B.ZB-Räume. Daniel Libeskinds Entwurf für ein spektakuläres Bremer Konzertgebäude ist schon zehn Jahre alt, die Vorgeschichte des (von einem rührigen Unterstützer-Kreis immer wieder ins Gespräch gebrachten) Projektes noch älter. Aber es gibt ja ermutigende Beispiele für spätes Bauen, etwa aus der künftigen Kulturhauptstadt Essen: Dort wurde das von Alvar Aalto bereits 1968 konzipierte Opernhaus nach 20 Jahren doch noch fertig gestellt.

Auch die seit 1928 vorhandenen Planungen für eine Bremer U-Bahn oder zumindest „Unterpflasterbahn“ (mit Röhren direkt unter der Erdoberfläche) erleben, wenn man es ernst nehmen möchte, eine aktuelle Wiederauferstehung: Die israelischen Spaceparkinvestitionsinteressenten regen an, Gröpelingen mit einer Untertage-Verbindung auszustatten, um die zu erwartenden BesucherInnen-Massen zu transportieren. Vor 52 Jahren hatte auch die Baudeputation einem ähnlichen Vorhaben schon zugestimmt: Längs des Wallgrabens sollte eine Verbindung zwischen Oster- und Doventor geschaffen werden. Der Streckenkilometer wurde mit 10 Millionen Mark berechnet. Zehn Jahre später hatte man immerhin schon an 50 Stellen probegebohrt, dazwischen lag das Intermezzo einer Hochbahn („Alweg-Bahn“), für die sich vor allem SPD-Fraktionschef Boljan begeisterte. Dann obsiegte wiederum die Untertage-Vision (vier Linien für insgesamt 1,3 Milliarden Mark), bevor das Nicht-Eintreffen der lange gehegten Bevölkerungsprognosen (800.000 BremerInnen im Jahr 1980) allen U-Bahn-Ambitionen den Wind aus den Segeln nahm – der jetzt freilich wieder zu drehen scheint.

Ein weiterer Wiedergänger in der Bremer Planungsgeschichte scheint der Vegesacker Sedanplatz zu sein. Nachdem dort 1959 der Traum eines gläsernen Kubus geplatzt war, in den das Ortsamt einquartiert werden sollte, entstand Mitte der 70er der Plan für eine „Stadtkrone“: ein gewaltiges, 23-geschossiges Wohnhochhaus mit einem weit ausgreifenden Sockel, der Geschäfte und öffentliche Einrichtungen aufnehmen sollte. Das geplante Finanzvolumen: 30 Millionen Mark. Zu Stein wurde davon immerhin das – noch heute großzügig dimensioniert erscheinende – Gustav-Heinemann-Bürgerhaus.

Wiederum 20 Jahre später planten die Vegesacker ihr bisheriges Meisterstück: das „Symbolon“ des Wiener Künstlers Ernst Fuchs. Eine helmartige Haube für den Sedanplatz, ein bisschen inspiriert von Rudolf Steiners erstem „Goetheanum“, durch die kräftige Farbsetzung aber dem „Phantastischen Realismus“ zuzuordnen. Genau der sollte auch auf den 700 Quadratmetern der Zentralkuppel ausgestellt werden. Die Erwartung: Bremen-Nord sollte einen „Bilbao-Effekt“ erleben, also einen touristischen Ansturm analog zum großen Erfolg des baskischen Guggenheim-Museums von Frank O. Gehry. Nachdem der Beirat nach langen Diskussionen abgelehnt hatte, wurde Fuchs Entwurf als Alternative zum Bremerhavener „Ocean Park“ oder auch als Lückenfüller auf dem Teerhof gehandelt.

Die Ausstellungsmacher haben ihre hervorragend recherchierte Schau chronologisch gegliedert, doch vieles wiederholt sich auch motivisch: Mal sollten die Fußgänger unter die Erde (wovon noch die Anlage unter der Brill-Kreuzung zeugt), dann wieder auf Stelzen-Boulevards flanieren. Das Weser-Stadion sollte mit luftgefüllter Folie überdacht werden, nachdem 30 Jahre zuvor die Bedeckung des Neustädter Hafens durchgefallen war. Unwillkürlich drängen sich Fragen auf: Warum etwa ist die Grohner Düne nicht Planung geblieben? Natürlich hätte sich der Space Park gut in dieser Ausstellung gemacht. Die historische Distanz lässt Raum für Amüsement, wie aber steht es mit den jüngsten Leichen im Bremer Planungskeller? Pietätvoll endet die Ausstellung im Jahr 2003 – daneben warten geradezu demonstrativ leere Wände auf eine Fortsetzung.

„Für Bremen geplant und nicht gebaut“ ist in den Räumen des Bremer Zentrums für Baukultur im Speicher XI 1, drittes Obergeschoss, bis zum 4. November zu sehen. Ein umfangreicher Katalog ist im Erscheinen begriffen.