: KUNST
KunstBeate Schederschaut sich in Berlins Galerien um
Der allgegenwärtige Aufruf zur Kreativität, der selbst denen in den Ohren klingt, die gar nicht schöpferisch tätig sind, kann einen ganz schön verunsichern. Als junge Künstlerin erst recht. Sofia Leiby geht das Problem proaktiv an und präsentiert bei Kimmerich Arbeiten, in denen sie Malerei, Siebdruck und Zeichnung kombiniert und dabei unterschiedliche Methoden der Kreativitäts- und Intelligenzmessung aufs Korn nimmt. Den Torrance-Test zum Beispiel, entwickelt von dem Psychologen Ellis Paul Torrance in den 1960er Jahren. Bei diesem müssen die Probanden unter anderem einfache Zeichen zu Motiven zu ergänzen. Leiby macht genau das, hält sich dann aber nicht an die Vorgaben, zeichnet und malt über die Kästchen hinweg. Ein Appell, außerhalb der im Englischen sprichwörtlichen Box zu denken? Oder den Thematischen Auffassungstest, einen Persönlichkeitstest aus den 1930er Jahren, bei dem Schwarzweißbilder zwischenmenschlicher Begegnungen interpretiert werden sollen. Leiby hat eines der Motive auf Leinwand gezogen: ein Liebespaar in inniger Umarmung, das von seiner Anmutung her aber auch aus einem Gruselfilm stammen könnte. Alles eine Frage der Auslegung (bis 5. 11., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Weydingerstr. 6).
Etwas Geisterhaftes haftet auch den Fotocollagen bei Delmes & Zander an, was nicht nur daran liegt, dass noch immer unbekannt ist, woher das Obsession-Album tatsächlich stammt und wer es einst anlegte. In den 1990er Jahren hatte man die 50 doppelseitigen Fotocollagen gefunden, entstanden sind sie, wie Indizien vermuten lassen, um 1870 in der Nähe von Lyon. Hanne Darboven faszinierten sie damals so sehr, dass sie mit Auszügen des Albums arbeitete. Was da zu sehen ist? Frauen auf dem Scheiterhaufen, Enthauptete, Gefesselte, Hinrichtungsszenen, brutal-sadistische Bilder, erstaunlich in ihrer technischen Virtuosität wie feinen Komposition (bis 26. 11., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–16 Uhr, Rosa-Luxemburg-Str. 37).
Virtuose Kompositionen nicht nur zum Sehen, sondern auch zum Hören versammelt ab heute Abend SCORES im Hamburger Bahnhof. Saâdane Afif, Christian Marclay, Ari Benjamin Meyers und Jorinde Voigt zeigen dort zwar bis Mitte November Arbeiten an der Schnittstelle von Kunst und Musik, die erste Performance zu Afifs „Vice de forme: Das Kabarett“ findet jedoch nur zur Eröffnung statt. Einmalig sind auch die Konzerte zu Marclays Arbeit am Freitag- und zu Voigts Arbeit am Sonntagabend sowie das Abschlusskonzert (Eröffnung: 27. 10., 19 Uhr, Konzerte: 28. 10., 30. 10., 20 Uhr, 13.10., 18.30 Uhr. Bis 13. 11., Di.–So. 11–18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Invalidenstr. 50–51).
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