„Buckeln für 50 Cent? Nee!“

Vor Beginn der Weltmeisterschaften in Leipzig betont Degenfechterin Imke Duplitzer, dass sie auch als Spitzensportlerin endlich ihr eigenes Leben führen, dass sie sich nicht verbiegen lassen will

INTERVIEW MARKUS VÖLKER

taz: Frau Duplitzer, am Montag um 12.30 Uhr beginnt für Sie die Fecht-WM. Sie wollen Gold gewinnen, ein durchaus legitimes Vorhaben, waren Sie doch die dominierende Degen-Fechterin in diesem Jahr.

Imke Duplitzer: Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Weltcups ich in den letzten Monaten gewonnen habe. Klar, am Montag ist der Tag der Wahrheit. Es wird von Tag zu Tag schwerer, die Spannung zu halten. Ich steh’ im Stall und scharre mit den Hufen.

Wenn vom Fechten die Rede ist, dann von Ihnen. Warum?

Ich bin im Bereich Brot und Spiele tätig, eine mittelmäßige Verpackung mit sehr viel Inhalt. Aber ich bin nicht wirklich bekannt. Vielleicht sollte ich mal nach New York fliegen und Sharon Stone auf der Kühlerhaube ihres Wagens flachlegen – und darauf achten, dass eine Überwachungskamera die Szene aufnimmt. Das würde für Furore sorgen. Fechten an sich weniger.

Das Medieninteresse ist in diesen Tagen sehr groß!

Momentan ist es ein bisschen viel, ja. Doch irgendwie genieße ich das auch. Und wenn Leute sagen: Mensch, pass auf, du redest dich um Kopf und Kragen, dann antworte ich: Das ist mir egal. Wenn 500 Leser kapieren, um was es mir geht, habe ich etwas erreicht.

Worum geht es Ihnen?

Dass es zum Beispiel nicht so weit her ist mit dem Ideal vom mündigen Athleten.

Was meinen Sie damit?

Ich habe im Sport immer versucht dazuzugehören, zu funktionieren, Anerkennung finanzieller und ideeller Art zu bekommen, aber irgendwann wollte ich nicht mehr brav sein, nicht mehr nur funktionieren, die Zimmerbegrünung bei Funktionärsempfängen spielen. Es kam vor Olympia in Athen zu diesem Rieseneklat bei meinem Verein in Heidenheim. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass ich mir 15 Jahre den Hintern aufgerissen hatte, aber trotzdem rausgeschmissen worden bin. Einfach so.

Was war passiert?

Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich nicht mehr weiter konnte. Es war immer die selbe Masche: Kämm dir die Haare, iss deinen Teller leer, sei artig, kratz nicht, beiß nicht. Buckeln für 50 Pfennig, nee. Ich wollte mein Leben in die Hand nehmen.

Sie sind nach Bonn gewechselt und mussten finanzielle Einbußen hinnehmen.

Scheiß auf 50 Euro. Es geht nicht nur ums Geld, schon gar nicht beim Fechten.

Sie wählen gern den beschwerlichen Weg.

Neulich hat jemand zu mir gesagt: Du bist eine total charmante Mischung zwischen D’Artagnan und Don Quichote. Ich find’ das klasse. Steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Vielleicht bin ich ein bisschen des Kämpfens müde. Aber es muss Leute geben, die jemandem, der im Dreck liegt, auf die Füße helfen. Mich lassen Missstände nicht kalt.

Wollen Sie missionieren?

Nein, über dieses Stadium bin ich hinaus. Ich habe nur keine Lust mehr, das zu verstecken, was ich bin. Also ecke ich an.

Wo zum Beispiel?

Auf meiner Homepage hatte ich vom Urlaub mit meiner Freundin Eli geschrieben. Da fragen mich Leute, warum ich meine lesbische Beziehung so aggressiv in den Vordergrund stellen würde. Das Problem liegt aber nicht in der Darstellung, sondern in der Sichtweise des Betrachters. Er ist der Aggressor. Ich muss mich für meine Lebensweise nicht rechtfertigen. Ich füge niemandem Schaden zu.

Wie viel Kampf bedeutete das?

Es hat sich oft sehr viel in mir angestaut. Außenstehenden fällt immer nur auf, wenn ich platze. Das wollen die Leute sehen: Dass die Duplitzer wieder abknallt. Dabei muss ich zehn Nervenzusammenbrüche von Sportfunktionären überstehen, bevor ich einen haben darf.

Sie tun den Funktionären ja ab und an den Gefallen und halten eine Brandrede oder drohen mit „Krieg“.

Es gibt Menschen, die haben ihr Leben an der emotionalen Null-Linie ausgerichtet. Ich brauche Ups und Downs. Die Amplitude, die dann entsteht, ist so etwas wie meine Energielinie. Und diese Energie wird irgendwann frei. Meine Energieschübe haben mir schon die verschiedensten Spitzennamen eingebracht. Erst war ich die Piratin. Dann war ich der Panzer. Nun hat sich die französische Presse darauf geeinigt, dass ich überehrgeizig wäre. Ich könnte es nicht verwinden, wenn ich neunte werde.

Und, könnten Sie?

Wenn ich in Leipzig 30. werde, kann mir aber nichts vorwerfen, dann ist das okay. Dann muss ich nicht den Kopf gegen die Wand schlagen.

Was wieder ins Bild passen würde.

Lassen wir dieses Szenario mal beiseite. Fakt ist: Unangepasste sind gefährlich. Jemand, der nicht ins System passt, der sich nicht für 50 Cent erniedrigen lässt, der lässt sich schwer kontrollieren.

Sind Sie angepasst?

Ich gehe kaum noch Kompromisse ein. Über eine gewisse Schmerzgrenze gehe ich nicht hinaus. Ich lasse mich vom Sportsystem nicht mehr benutzen.

Ist das nicht eine sehr eigensinnige Haltung?

Ist es nicht. Es ist eine emanzipierte Haltung, die man sich hart erarbeiten muss – durch persönliche Erfahrungen, Brüche, Einsichten. Ich bin mir ja für nichts zu schade, stelle keine großen Ansprüche. Ich versuche, im Fechten gut zu sein. Ich bin nicht 100-prozentig perfekt, vielleicht nur 51-prozentig, aber das ist ja auch schon was.

Zu perfekt für manchen Funktionär?

Ich kann ja nichts groß ändern. Was die Duplitzer macht, das ist für die Herren Sportpolitiker und Funktionäre so interessant, als würde ein Hund den Mond anheulen. Ein Benedikt XVI. wird sich hüten, den Teufel in den Vatikan einzuladen.

Bei all Ihrer Eigenart ist es verwunderlich, dass Sie nicht Sanktionen ausgesetzt sind.

Das konnte ich abwenden, weil mir Fechten Spaß macht. Und weil ich erfolgreich bin. Sonst würde ich einen Tritt in den Hintern bekommen. Dann nimmt irgendjemand die Giftliste heraus mit meinen Verfehlungen und rechnet ab. Leute, die das Maul aufreißen, müssen verdammt gut sein.

In Sydney bei den Olympischen Spielen haben Sie einen großen Vorsprung und damit eine Medaille für die Mannschaft verspielt. Danach wurden Sie heftig attackiert.

In solchen Momenten sieht man, wer seinen Hintern nur aus der Schusslinie bringen will bzw. wer doch noch ein paar Ideale bewahrt hat. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem ein Sportfunktionär sagt: Okay, Kinder, das ist in die Hose gegangen, ich bin schuld und wir versuchen, es das nächste Mal besser zu machen. Stattdessen wird die Verantwortung weitergeschoben. Es gibt so viele Dinge, die mich wütend machen: Bequemlichkeit, Heuchelei, Duckmäuserei, Janusköpfigkeit.

Verzweifeln Sie manchmal an Ihrer Weltsicht?

Lange Zeit war das so. Bis ich im letzten Jahr nach Olympia ein Gespräch hatte, das mir sehr geholfen hat. Seitdem bin ich gereift. Ich habe mehr Distanz zu den Dingen gewonnen. Die sollen alle ihr Spiel spielen, aber ohne mich. Ich halte jetzt an roten Ampeln an – auch im gesellschaftlichen Sinne.

Wie kam es zum Sinneswandel?

Ich bin nach dem Rauswurf in Heidenheim und kurzzeitig auch in Athen mit der Fresse im Dreck gelegen. Doch dann gab es diesen Moment, der mich wachgerüttelt hat: Ich habe in Athen in das Gesicht meines damaligen Trainers [Hans-Jürgen Hauch, d. Red.] gesehen und gespürt, dass er in sich zusammenfällt und denkt: Mein Gott, es war alles umsonst! Da bin ich aufgestanden und habe gekämpft. Meine Halbfinalgegnerin, Laura Flessel aus Frankreich, hat gemerkt, dass da in mir etwas passiert ist. So habe ich doch noch gewonnen: Olympiasilber.

Was passierte danach?

Man hat versucht, mich auf ein Schild zu heben. Aber wenn der Kampf anders ausgegangen wäre, wäre ich der Depp gewesen.

Es war zu lesen, dass sie nach den Sommerspielen durch die Hölle gegangen seien.

Bei Olympia ist viel Trubel, man ist in Gemeinschaft, hat nicht viel Zeit nachzudenken. Dann kommt man nach Hause und sucht immer noch seine Olympia-Akkreditierung. Aber die Spiele sind längst vorbei. Ich hatte meine Pflicht und Schuldigkeit getan. Kein Mensch interessierte sich mehr für mich. Und dann kam hinzu, dass meine sportliche Zukunft offen war. Kann ich meine Saison finanzieren? Als Fechter läuft man ja schnell Gefahr, sich in Bereichen eines Hartz-IV-Empfängers zu bewegen. Finde ich einen neuen Verein? Wie ist es, mit einem neuen Trainer zu arbeiten, also in Bonn mit Manfred Kaspar?

Wie schnell haben Sie Antworten gefunden?

Anfangs habe ich nachts nicht mehr geschlafen. Ich habe nur gegrübelt. Habe mich gehen lassen. Ich wollte von der Welt nichts mehr wissen, lag noch mittags im Bett und habe die Decke über den Kopf gezogen. Meine Freundin hat mich aufgeweckt, unter die Dusche geschoben, weil ich anfing zu stinken, und rausgeschickt. Irgendwann habe ich mir gesagt: Auf zu neuen Taten!

Das hieß?

Ich hatte mich entschlossen, nur noch mein Ding durchzuziehen. Und wenn mir einer was wollte, mich einfach umzudrehen und zu gehen.

Ein eigenwilliger Plan.

Es ist meine ganz persönliche Deeskalationsstrategie. Im Endeffekt liebt man mich wegen meiner Art sowieso nicht. Es wird immer jemanden geben, der mich beargwöhnt, weil ich mit einer Frau zusammenlebe und und und. Darauf wollte ich keine Rücksicht mehr nehmen.

Sondern nur noch fechten?

Genau: Ich wollte fechten. Das ist ein ideeller Wert für mich. Bis 2012, bis zu den Olympischen Spielen in London, kann ich mir vorstellen weiterzumachen. Mich reizt die Fechtsituation. Bestimmen zu können, was passiert. Die Kontrolle zu haben im Duell zweier Künstlerinnen.