KARIM EL-GAWHARY ÜBER DIE AKTUELLE LAGE IN KAIRO
: Mursis Legitimation verspielt

Ja, der ägyptische Präsident ist demokratisch legitimiert. Ja, die Muslimbruderschaft trägt die volle Verantwortung für die brutalsten Straßenschlachten in Kairo seit dem Sturz Mubaraks. Und nein, Ägypten befindet sich nicht im Bürgerkrieg – noch nicht.

Was die ägyptische Hauptstadt in den letzten Tagen und Stunden erlebt hat, hat die politischen Gräben unüberwindbar vertieft. Seit Dienstag geht es nicht mehr nur um Verfassung und Machtbefugnisse des Präsidenten. Es geht um die Straße.

Es war ein kurzfristiger Sieg, den die Muslimbrüder am Donnerstagmorgen vor dem Palast feierten. Ihre demokratische Legitimation hatten sie mit diesem Einsatz, sechs Toten und über 500 Verletzten, verspielt. Politisch dumm, weil in nur zwei Wochen ihr Verfassungsentwurf in einem Volksreferendum wahrscheinlich durchgekommen wäre. Für die politischen Gegner wäre es dann wesentlich schwerer geworden, weiter dagegen vorzugehen.

Nun liegt viel zerschmettertes Porzellan auf Kairos Straßen. Die beiden großen Strömungen, die zusammenarbeiten müssten, um das Land zusammenzubringen, sind von den nötigen Kompromissen meilenweit entfernt. Beide Seiten haben mieses Krisenmanagement bewiesen, wobei Mursi als Präsident die größere Verantwortung zukommt.

Die Zukunft des Landes ist völlig offen. Wenn die Opposition die Legitimität des Präsidenten abstreitet, wer bekommt dann diese Legitimität? Und an die Muslimbrüder gerichtet: Wenn die Opposition „erfolgreich“ in die Schranken gewiesen wurde, was passiert als Nächstes? Jetzt muss sich zeigen, ob es die richtigen Signale geben kann. Wenn nicht, sind weitere Eskalationen vorgezeichnet.

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