Die Storys schlafen weiter in den Nähten

Hochschule Am Freitagabend präsentierten die Absolventen des Studiengangs Bekleidungs- und Textildesign der UdK ihre Kollektionen im ausverkauften Saal des Estrel

Für die Frauen bleibt nicht viel über

von Brigitte Werneburg

Sie lieben Bänder, die wild durch die Gegend flattern, wenn man sich in ihren Kleidern bewegt. Sie lieben harsche Dekonstruktionen, sodass am Ende nur noch wenig übrig bleibt von dem, was eine Hose oder Jackett darstellen soll. Sie lieben das Layering, und manchmal schichten sie die verschiedenen Teile einer Garderobe so massiv übereinander, dass es ausschaut, als trage das Model seinen ganzen Kleiderschrank auf seiner rechten Schulter spazieren. Sie, das sind die Studenten des Instituts für experimentelles Bekleidungs- und Textildesign der Universität der Künste.

Am Freitag vergangener Woche haben die Studierenden des Bachelor- und des Masterstudiengangs ihre Projektarbeiten und Abschlusskollektionen vor Publikum präsentiert, im Estrel in Neukölln, einem Riesenkasten von Hotel. Entsprechend muss der Saal, in dem der Catwalk stattfand, als großzügig gelten, aber da der Kartenvorverkauf für den Event offenkundig gut verlief, war der Laden Freitagabend voll. Es sollten also nicht nur Freunde und Freundinnen, Eltern und Geschwister zur Schau gekommen sein, die natürlich bestens über die Hintergründe der jeweiligen Kollektionen und Projekte informiert sind.

Nicht selbsterklärend

Für die anderen machte der Abend klar: So wenig wie die zeitgenössische Kunst erklärt sich auch das zeitgenössische Mode- und Kleiderdesign von selbst. Was gezeigt wurde, sah oft weder besonders schön noch besonders tragbar aus, immer aber sah es interessant aus und provozierte Fragen nach dem Stoff, dem Material, der Verarbeitung oder dem Bekleidungskonzept selbst. Man fragt sich, wer sind die Absolventen, woher kommen sie, welche Erfahrungen haben sie womöglich schon mit dem Modebetrieb und der Bekleidungs- und Luxusindustrie?

„HipHopper brauchen Kuscheltiere“

Modedesigner Raphael Schall

Zu alldem war aber an diesem Abend wenig zu erfahren. Zwar ist auf dem Flyer zur Schau jedem Absolventen und seiner Kollektion ein mehr oder weniger aphorismenträchtiger kleiner Text zugeordnet wie „In den Nähten schlafen Geschichten“ (Aicha Abbadi) oder „Werde nicht zum Angestellten deiner Bequemlichkeit“ (Hagar Rieger). Aber wirklich weiter bringt einen das nicht. Nun ja: „Gedanken“ heißt es bei Nicolas Fischer „sind auch ein Logo“.

Die Studenten und ihre Veranstaltung wirken merkwürdig von ihrer Hochschule alleingelassen. Das mag vielleicht sogar von ihnen selbst so gewünscht sein. Aber dadurch bleibt die Veranstaltung extrem insiderisch, studentisch. Kein Professor, keine Professorin gibt ein Statement ab, etwa zu den Herausforderungen der Mode, sei es in Hinblick auf den speziellen Studiengang oder in Hinblick auf den Betrieb. Laut Flyer sind illustre Gäste anwesend wie Asley Boer, Senior Textile Designer bei Balenciaga oder Samatha Barrington, Fabric Developer bei Céline, aber sie werden öffentlich nicht begrüßt, gar dem zahlenden Publikum vorgestellt. Das wirkt weniger zurückhaltend und cool als vielmehr provinziell.

Also dann Catwalk pur, dessen erstes Thema „Menschen am Sonntag“ ist und ein Projekt des 4. Semesters vorstellt. Dominierender Eindruck: viel Stoff, weite Hosen, weite lange Mantel und Jacken, viel Geflatter. Leonard Murr, der danach seine Bachelor-Kollektion vorstellt, kommt dann mit Flausch, als grüne Shorts zu einem hinreißenden gelben Mantel, ebenso begeistert sein Daunensteppmantel, der dank transparentem Gewebe quasi schulterlos getragen wird. Murr geht aus Berlin weg, wie er L’Officiel erzählt hat, zu deren Online- Ausgabe die Website der UdK verlinkt. Vor drei Tagen hat er sein Masterstudium am Royal College of Art – fashiondesign menswear – in London begonnen.

Friederike Stanitzek, die ihm nachfolgt, setzt auf florale Pracht, wobei es der Bodysuit ist, der blüht und über den sie mit mal mehr oder mal weniger Erfolg helle, bunte Stoffmassen drapiert. Muyao Zhang liebt es dann ganz in Schwarz, mit fließenden, glänzenden Stoffen. Vor der Schau war in einem Video zu sehen, wie ihre Kollektion in einer Live-Performance entsteht, während der sie ihr Male Model aus einer schwarzen Stoffarchitektur herausschneidet, bis er vollständig bekleidet davongeht. Großartig.

Die tollen Sachen kriegen die Jungs Fotos: Aaron Wynia

Cool und sophisticated

Ähnliches ist später beim „Mad Men Science“ genannten Projekt des 5. und 6. Semester zu be­obachten. Studentinnen tragen Leinwände durch den Raum und dort, wo sie sie abstellen, schlüpfen sie in die Leinwände hinein. Ein rotes Farbfeld erweist sich dann als ein Ärmel oder ein blaues Quadrat als Teil eines ­Jacketts mit aufgesetzter Tasche.

Lilo Klinkenbergs zart gestreifte Kollektion bringt einen sofort auf die Idee, sie entwerfe ihre Kleider für das brave, unsichere Mädchen, das aber entgegen all seinen Hemmungen doch unbedingt cool und sophisticated daherkommen will. Ihr Ansatz trifft sich mit dem von Raphael Schall, der meint, „HipHopper brauchen Kuscheltiere“, und ihnen aus einem wie mit Konfetti marmorierten, steifen Stoff tolle voluminöse Hosen, Hüte und Jacken baut. Besonders begehrenswert: die gesteppte, weite Hose. Die möchte man – wie es Lisa Oberländer in ihrer Kollektion vorschlägt – über eine andere weite, etwas schlabberige Hose tragen. Das wirkt schön dandyhaft, und überhaupt meint man sagen zu dürfen: Die Jungs kriegen die ganz tollen Sachen hier bei der Schau 16.