LeserInnenbriefe
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Absurde These

betr.: „Revolution der Geschlechter“, taz vom 19. 10. 16

Welch absurde These! Für die Kommentatorin Silke Mertins ist die Revolution der Geschlechter vollbracht, wenn Frauen den Männern in der Familienplanung scheinbar gleichgestellt wären – „dank“ Gen- und Reproduktionstechnik, die zwar möglich, deshalb aber noch lange nicht für gut befunden und weiter betrieben werden muss. Mag sein, dass Frauen*Lesben* dadurch vorrangig Ausbildung, Beruf, Karriere und Ähnliches verfolgen können, Zeit haben, ihre Partner*innen auszuwählen, zu wechseln usw., die notwendige Schwangerschaft müssen sie aber dennoch einplanen und ein Körper mit 40/50 Jahren aufwärts ist nicht unbedingt „gewillt“, diesen Prozess auch noch durchzumachen – ganz zu schweigen von den eventuellen Risiken für Föten und werdende Mütter. Aber dafür haben wir ja dann die Pränataldiagnostik und selektieren aus, was uns nicht gefällt.

Und Männer suchen sich zukünftig halt einfach bezahlte Leihmütter (momentan noch im Ausland), die ihre „Eizellen aus Bindegewebe gewonnen“ austragen – alles ja nur eine Frage des Geldes.

Die Revolution der Geschlechter beginnt und verläuft aber nicht an den biologischen Rändern, sondern an den kulturell-politisch-sozio-ökonomischen Realitäten und den komplexen Veränderungen dieser Ungleichheiten! Liebe Frau Mertins, fangen Sie an, von der Mitte der Ungleichheiten, Ausgrenzungen, Diskriminierungen aus zu denken, dann brauchen sie sich keinerlei Kopf mehr zu zerbrechen, ob lesbische/schwule Paare zukünftig ebenfalls biologische Eltern sein dürfen/können. Das nämlich ist völlig überflüssig, weil eine Revolution der Geschlechter biologistische Elternschaft nicht über soziale Elternschaft stellen würde! Für Revolutionen benötigen wir Frauen*Lesben* (ebenso wie Männer*Schwule*) nicht Techniken jedweder Art, sondern Bewusstsein, Analyse, Widerstand, mutiges Benennen und Handeln, Verweigerungen und die Suche nach und das Umsetzen von alternativen Denk-, Gefühls- und Lebensmodellen außerhalb patriarchaler Optimierungsmuster sowie außerhalb von Unterdrückungs-, Ausgrenzungs- und Ausbeutungsmodellen!

KATHY CZAJA, Düsseldorf

Was für Chancen

betr.: „Revolution der Geschlechter“, taz vom 19. 10. 16

Wozu überhaupt noch Eltern? Kinder werden 3-D ausgedruckt einschließlich Spielkram, die Erziehung hat Facebook & Co. Was für Chancen. AXEL DÖRING, Bremen

Gang zum Patentamt

betr.: „Revolution der Geschlechter“, taz vom 19. 10. 16

Da fehlt nur noch der Gang zum Patentamt und Monsanto steht schon auf den Startblöcken. FERN MEHRING, Dortmund

Nicht innovativ

betr.: „Männer können Kinder kriegen“, taz vom 19. 10. 16

Dass Männer Kinder kriegen können, halte ich nicht für innovativ. Manche Wissenschaftler wollen mit unnatürlichen Ideen lediglich ihre Sucht nach Profit befriedigen. Zitat von Darwin: „Alles, was gegen die Natur ist, hat keinen Bestand.“

JULIA ENGELS, Elsdorf

Bioradikalkommunismus

betr.: „Revolution der Geschlechter“, taz vom 19. 10. 16

Eine Lust und Spaß bereitende „Revolution der Geschlechter“ liegt nun nicht darin, dass man diese Mechanismen als so unverrückbar gesetzt anerkennt, dass sie sich nur mit den technischen Mitteln der Genetik austricksen lassen. Vielmehr sollten die Frauen lernen, die an sie tatsächlich oder auch nur vermeintlich gestellten Ansprüche weniger ernstzunehmen, mit ihnen zu spielen und dann, wenn es ihnen gefällt, auch völlig auf sie zu pfeifen, während die Männer sich gerne mehr um die Erkenntnis der Interessen und Gefühle anderer bemühen dürfen. Spätestens seit Kant klappt das theoretisch ja schon mal ganz gut. Seit der Mensch Level 2 erreicht, also den Status eines Jägers und Sammlers durchgespielt hat, ermöglicht der Fortschritt doch, das Spiel der Geschlechter freier zu gestalten, und für den, der es will und den Mut dazu hat, sind diese Grenzen der Freiheit heute schon sehr weit gesteckt. Ein nahezu paradiesisches Tal fruchtbarer Betätigung liegt Mann und Frau zu Füßen.

Dass nach einem Jahrtausende währenden „Clash of Genders“ die „Revolution der Geschlechter“ ihre Vollendung jetzt ausgerechnet darin erfahren soll, dass das Naturprinzip geschlechtlicher Vermehrung restlos ausgehebelt wird, dass die betreffenden Unterschiede zwischen Mann und Frau hinweggewischt werden, ist der fade – zum Glück wohl nur vermeintliche – Höhepunkt eines spannenden Thrillers mit Überlänge. Diese Gleichmacherei ist keine Befreiung, sondern biologischer Radikalkommunismus.

Davon abgesehen halte ich mehr Demut durchaus für angebracht angesichts der „schwerwiegenden ethischen Fragen“, die hier nur für einen Prolog gut genug zu sein scheinen, obwohl ihnen eine viel zentralere Rolle gebührt. Menschsein, das ist einerseits das Streben nach Vollkommenheit, andererseits ständiger Kampf mit der dem Menschen eigenen Unvollkommenheit. Zwei Seiten einer Medaille, untrennbar miteinander verbunden. Man muss auch die Kehrseite im Blick behalten, um die Fülle des Lebens in seinem Glück und seiner Traurigkeit zu erfassen und davor bewahrt zu bleiben, über der Hybris ungebrochener Technikgläubigkeit die Bodenhaftung zu verlieren.

TORSTEN STEINBERG, Porta Westfalica