: Konstant wankelmütig
CHAMPIONS LEAGUE Seltsam, seltsam: Heute spielen und kämpfen sie hochklassige Gegner in Grund und Boden, morgen finden sie keine Lösungen gegen krisengeschüttelte Abstiegskandidaten. Bayer Leverkusen bleibt ein Rätsel
aus Leverkusen Daniel Theweleit
Gelegentlich neigt Roger Schmidt dazu, unangenehme Journalistenfragen mit strengem Ton für unangemessen zu erklären, besonders nach Spielen wie dem 0:0 seiner Leverkusener gegen Tottenham Hotspur, das ihm gut gefallen hatte. Doch am späten Mittwochabend reagierte er mit der Souveränität eines Mannes, der seinen Frieden gefunden hat – als er mit einer recht unangenehmen Zahl konfrontiert wurde. Seit acht Partien wartet Bayer Leverkusen nun schon auf einen Sieg in den europäischen Wettbewerben, das ist wahrlich keine schöne Serie für solch einen ambitionierten Klub. „Aber ich glaube, wir haben auch kaum eines dieser Spiele verloren“, entgegnete Schmidt trocken, und da hatte er natürlich Recht.
In erstaunlich komprimierter Form zeigte sich in diesem kleinen Moment der Kern des Phänomens Leverkusen: Man kann sich diesem Team von unterschiedlichen Seiten nähern, je nach Perspektive kann man es kritisieren oder loben. Weil diese Mannschaft zuverlässig hin und her pendelt zwischen gut und schlecht, zwischen mitreißend und enttäuschend. Auch in der Partie gegen Tottenham gab es beide Seiten zu bestaunen.
Es sei „außergewöhnlich, so eine zweite Halbzeit zu spielen, so viel Druck zu machen, so früh zu attackieren, so hoch zu stehen, und gegen eine Mannschaft die so starke Waffen hat, keinen Torschuss zuzulassen“, schwärmte Schmidt über die zweite Hälfte der Partie gegen den englischen Spitzenklub. Das Publikum bekam Bayer-Fußball vom Feinsten geboten, die Werkself hatte fünf, sechs toll herausgespielte Torchancen, und der von hartnäckigen Rückenbeschwerden genesene Stefan Kießling macht eines seiner besten Spiele der vergangenen Jahre. Allerdings gab es zuvor auch eine Halbzeit, in deren Verlauf die Leverkusener hätten untergehen können.
Schmidt erklärte den seltsam hilflosen Beginn mit der Stärke von Tottenham, die Engländer spielten ja im Vorjahr lange um den nationalen Meistertitel mit und sind in der laufenden Saison noch ungeschlagen. Man müsse eben „auch mal anerkennen, dass wir gegen einen sehr starken Gegner gespielt haben“, fand der Trainer. Das war schon plausibel, und so eine Energieleistung wie in der zweiten Halbzeit ist wohl auch nicht über 90 Minuten durchzuhalten. Aber Spurs-Trainer Mauricio Pochettino hatte ebenfalls recht, als er sagte, dass sein Team „nach 45 Minuten eigentlich 2:0 hätte führen müssen“. Davon hätte Bayer sich nicht wieder erholt.
Es ist ein Leverkusener Kommunikationsprinzip, Kritik mit dem Verweis auf die guten Aspekte zu entkräften. Am Wochenende, als Beobachter wieder einmal die alte Debatte über eine angeblich unzureichend willensstarke Leverkusener Mentalität führen wollten, verwiesen sie auf die beherzten Auftritte voller Kraft und Aufopferungsbereitschaft, die es zweifellos gibt. Dass die unberechenbare Wankelmütigkeit eine Konstante bleibt, lässt sich so allerdings nicht aus der Welt reden. Mal spielen und kämpfen sie hochklassige Gegner in Grund und Boden, mal finden sie keine Lösungen gegen krisengeschüttelte Abstiegskandidaten. Seltsames Leverkusen.
In den vergangenen 20, 30 Monaten schwankt der Werksklub Team permanent zwischen diesen Polen, ohne wirklich voranzukommen. Dabei hatten sie sich genau diesen Schritt zum stabilen Spitzenklub für diese Saison vorgenommen. Im Sommer wurden keine Leistungsträger abgegeben, der Kern des Kaders hat den speziellen Fußball von Roger Schmidt nicht nur verinnerlicht, die Leistungsträger sind auch zutiefst überzeugt von der Tauglichkeit dieser Spielweise. Eigentlich könnte Bayer in dieser Saison mal etwas Besonderes schaffen. Doch in der Bundesliga ist der Klub so schlecht in die Saison gestartet wie seit zehn Jahren nicht mehr. Und in der Champions League warten sie weiterhin auf den ersten Sieg.
Immerhin reagieren sich inzwischen auch auf solche Anmerkungen mit großer Gelassenheit. Dass die ziemlich ausgeglichene Gruppe knifflig sei, habe er schon nach der Auslosung gesagt, meinte Sportchef Rudi Völler – und Schmidt erklärte: „Ich glaube, dass diese Gruppe am letzten Spieltag entschieden wird.“ Da trägt Bayer dann nach den beiden zunächst anstehenden Auswärtsreisen nach London und Moskau das machbare Duell gegen AS Monaco aus. Und für Ärger über verpasste Chancen ist ja noch genug Zeit, wenn es am Ende wirklich schief geht.
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