20 JAHRE GROOVE: Hab mehr erwartet
Die Hände-in-den-Hosentaschen-Fraktion hat die halbleere Tanzfläche voll im Griff. Die Musik wird lauter, und meine Bierflasche fängt zu vibrieren an; man soll tanzen. Neben mir sitzt eine Dame, geschätzte 40, und grinst unentwegt vor sich hin. Gelegentlich spricht sie mit sich selbst, fängt energetisch an zu tanzen, hört wieder auf, fängt wieder an. „Is this a joint?“, fragt sie mich. Mit meiner selbst gedrehten Zigarette kann ich ihr leider nicht weiterhelfen. Ich frag sie, ob ihr der Film gefallen hat: Keine Reaktion. Ich frag noch einmal etwas lauter. Nichts. Sie grinst wieder.
Vielleicht ist ihr der Film von vorher nicht bekommen. Moritz von Oswald und Ricardo Villalobos hatten „Berlin: Die Sinfonie der Großstadt“, Alltagsszenen aus dem Berlin der 20er-Jahre, mit sphärischen Klängen und Geräuschen unterlegt. Zugegebenermaßen hatten die nickenden Plastikpuppen, Wackeldackel in Menschenform und die schnell geschnittenen Verkehrsszenen mit Tram, Kutschen und Rennradfahrern leicht psychedelische Tendenzen. „Hab mir mehr erwartet“, fasste eine Zuschauerin trocken zusammen, aber die Dame mit dem Dauergrinsen hatte scheinbar ihr Vergnügen daran.
Vor 20 Jahren, mit 13, habe er an der Straße irgendwo in Oberfranken gestanden. „Da ham wir den Trabbis zugewunken.“ Die Hand zur Begrüßung will mir Michael aus Schweinegrippegründen lieber nicht reichen. „Nee echt! Zu gefährlich.“ Trotz solcher ausgefuchsten Seuchenpräventionsmaßnahmen will er sich aber nicht impfen lassen. „Ich nehm schon genug Drogen, das muss reichen!“ So hab ich das natürlich auch noch nie gesehen.
Musikalisch haben mittlerweile Die Vögel übernommen und blasen aus Posaune und Trompete zur elektronischen Untermalung. 20 Jahre Groove und jede Menge Vögel – durch Berlin fließt immer noch die Spree. MAX BÜCH
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