„Erstens: Aufmerksam bleiben“

Das bleibt von der Woche Bei der Initiative Volksentscheid Fahrrad vergreift man sich im Ton, die Rechtspopulisten von der AfD betreten die parlamentarischen Bühnen, die Zeitungskrise fordert Opfer bei der Hauptstadtpresse, und Neuköllns Exbürgermeister Buschkowsky will ja nur helfen und wendet sich deswegen dem Privatfernsehen zu

Weniger Polemik, bitte

Rad-Initiative sagt Sorry

Dass Strößenreuther und Gaebler in Abneigung verbunden sind, ist bekannt

Sich menschlich im Ton zu vergreifen, ist keine gute Idee für eine politische Initiative, die auf die Sympathie der Bevölkerung angewiesen ist. Deswegen ist es nachvollziehbar, dass sich die AktivistInnen vom Volksentscheid Fahrrad am Mittwoch bei Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) entschuldigt haben.

Hintergrund war die Reaktion auf eine in Moabit von einem Lastwagen getötete 32-Jährige: „Politik tötet Radfahrerin“, hieß es da bei Heinrich Strößenreuther, und der spiritus rectorder Initiative twitterte noch eine Statistik zu verletzten RadlerInnen hinterher, Begleittext: „Senatsversagen, denn in Amtszeit Hr. Gaebler sind 25–30 % mehr Radfahrer verletzt ohne Trendumkehr.“

Dass Strößenreuther und ­Gaebler in inniger Abneigung verbunden sind, ist bekannt, aber so viel Personalisierung ging anderen RadaktivistInnen offenbar zu weit – daher die Entschuldigung, die in Ordnung geht. Auch wenn es gesteigerter Böswilligkeit bedarf, um aus dem zugespitzten politischen Statement einen konkreten Vorwurf des Totschlags herauszulesen.

Was wirklich problematisch ist – und womit sich Strößenreuther einmal auseinandersetzen sollte – ist dessen Neigung, für eine mediale Pointe auch mal unsauber zu argumentieren. Hier waren es die „25–30 %“, die sich nur ergeben, weil im Ausreißer-Jahr 2010 aufgrund eines sehr kalten Winters deutlich weniger Radunfälle als sonst registriert wurden. Es trauten sich einfach viel weniger auf die Straße.

Strößenreuther räumt das ein und sagt, es habe aber bei den Unfällen „keine Trendumkehr“ gegeben. Berücksichtigt man, dass – wie die Initiative selbst betont – immer mehr Radlerinnen unterwegs sind, wackelt auch diese Betrachtungsweise.

Etwas weniger Polemik täte dem Volksentscheid Fahrrad gut. Die besseren Argumente hat er ohnehin. Claudius Prößer

Das Märchen vom Biedermann

DIE AFD IN PARLAMENTEN

In diesen Tagen gibt sich die AfD gern „bürgernah“ und „konstruktiv"

Jetzt ist es soweit: Die AfD sitzt im Abgeordnetenhaus und allen Bezirksparlamenten, am Donnerstag hat sie die parlamentarischen Bühnen der Stadt zum ersten Mal betreten. Um zu verhindern, dass die Partei sich noch weiter etabliert, wird es jetzt vor allem auf drei Dinge ankommen.

Erstens: aufmerksam bleiben. In dieser Woche wurde jeder Schritt der Blauen aufs Genaueste verfolgt, jeder Versprecher registriert, jede Personalentscheidung durchleuchtet. Klar ist aber: Wie bei allen Themen wird auch hier das Interesse nach einiger Zeit nachlassen. Umso wichtiger ist es, dass JournalistInnen, aber möglichst auch alle anderen, dran bleiben an den RechtspopulistInnen: Nur wenn Fehlschläge der Partei, seien sie fachlicher oder politischer Natur, immer an die Öffentlichkeit gezerrt werden, kann verhindert werden, dass die AfD irgendwann als ganz normale Partei wahrgenommen wird und damit die Grenzen dessen, was als politisch akzeptabel gilt, noch weiter verschiebt.

Zweitens: Nicht auf das Biedermann-Märchen hereinfallen. In diesen Tagen gibt sich die AfD gern „bürgernah“ und „konstruktiv“, will sich als eine Art bessere CDU präsentieren. Doch darüber sollte niemand vergessen: Ein Abgeordneter der AfD will Flüchtlinge in Bretterlagern unterbringen, andere sind Mitglieder rechter Burschenschaften oder haben Kontakte zu den Identitären. In Lichtenberg sitzt ein Mann in der BVV, der an Neonazi-Aufmärschen teilnimmt, auch das Marzahner Personal ist alles andere als unbescholten. Hätte die AfD wirklich ein Problem mit diesen Haltungen, würde sie solche Leute nicht in ihren Reihen dulden.

Daraus ergibt sich der dritte Punkt: keine Zusammenarbeit mit dieser Partei. Wer solche Leute mitspielen lässt, solche Positionen zulässt, kann kein politischer Partner sein. Sollte etwa die CDU in Spandau wirklich versuchen, ihren Bürgermeisterkandidaten mit Stimmen der AfD ins Amt zu hieven, wie es in dieser Woche behauptet wurde, wäre das ein fatales Signal, weit über den Bezirk hinaus. Malene Gürgen

Keine Schärfung des Profils

ZEITUNG IN DER KRISE

Klar ist, dass es dieBerliner Zeitung“ so wie bislang nicht mehr geben wird

Selbst der Regierende Bürgermeister ist besorgt: Die Berliner Zeitung und der Berliner Kurier „sind unverzichtbare kritische und kompetente Stimmen, die einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Debattenkultur in unserer Stadt leisten“, ließ Michael Müller mitteilen, kurz nachdem das Kölner Verlagshaus DuMont angekündigt hatte, die beiden Redaktionen zusammenzulegen.

Die Herren der DuMont-Spitze teilen dieses Statement wahrscheinlich – kommen aber zu einem anderen Schluss. Am Donnerstag informierten sie im Verlagshaus am Alexanderplatz die Belegschaft von Kurier und Berliner Zeitung über ihre Pläne für die beiden kränkelnden Blätter: Gegründet wird ein Newsroom, in dem Redakteure zusammen an beiden Zeitungen arbeiten. Wer dort künftig arbeiten will, muss sich neu bewerben. Boulevard und Qualität kommen so künftig aus einer Hand – anders, sagt DuMont, hätte die Berliner Zeitung nicht gerettet werden können. Sie hat massiv an Auflage verloren, mehr als 50 Prozent seit 1998, Online spielt sie kaum eine Rolle.

Ist die Fusion nun, wie der Regierende Müller meint, ein Verlust von Vielfalt, oder wie DuMont meint, ein Gewinn?

Klar ist, dass es die Berliner Zeitung, so wie sie bislang erschienen ist, nicht mehr geben wird. Wie soll ein verkleinertes Team, zusammengewürfelt aus Boulevard- und Qualitätsjournalisten parallel zwei weiterhin hochwertige Zeitungen machen? Noch dazu zwei, die ganz unterschiedliche Leser haben? Es ist kaum vorstellbar, dass dieser Anspruch aufrechterhalten werden kann. Wahrscheinlicher ist, dass die Profile der Zeitungen verwässert werden.

Das ist ein Verlust für den Berliner Zeitungsmarkt, der noch vor gut zehn Jahren einer der dichtesten und umkämpftesten der Bundesrepublik war. Anfang der 2000er druckte die Frankfurter Allgemeine ihre Berliner Seiten. Holtzbrinck und Springer lieferten sich eine Bieterschlacht um die Berliner Zeitung.

Und heute? Die Berliner Seiten der FAZ sind längst tot, Berliner Zeitung und Kurier werden eins, die Berliner Morgenpost verliert noch mehr Auflage als die Berliner Zeitung. Allein die taz und der Tagesspiegel verlieren „nur“ einstellig. Vielfalt sieht anders aus. Anne Fromm

Nichts für ungut, Heinz

Buschkowsky geht zu RTL

Du wirst also loben, aber auch mal ordentlich schimpfen müssen

Sehr geehrter Herr Exbürgermeister Buschkowsky – lieber Heinz!

Ich duze dich jetzt einfach mal, immerhin machen das im Vorabendprogramm bei RTL auch alle. Und genau dort hast du ja jetzt angeheuert, wie der Sender in dieser Woche bekannt gab: als „Hartz-IV-Experte“ sollst du Langzeitarbeitslose beraten. Genauer gesagt: Du bekommst deine eigene Show. „Zahltag – ein Koffer voller Chancen“ heißt das „TV-Sozialexperiment“ und soll ab 2017 im Programm laufen.

Die Idee: Familien, die von Sozialhilfe abhängig sind, bekommen 25.000 Euro bar auf die Hand – und ein „Expertenteam“, das ihnen binnen eines halben Jahres „Perspektiven“ aufzeigen soll, um „wieder zu lernen, selbst für sich zu sorgen“ (RTL). Du wirst also loben, wenn Papa sein Gründerseminar durchhält, aber auch mal ordentlich schimpfen müssen, wenn Mutti nicht zu ihrem Bewerbungstraining geht. Zuckerbrot und Peitsche, dann bleibt der Zuschauer dran. Laut RTL bist du für den Job alleine schon deshalb hervorragend geeignet, weil du „in über 15 Jahren als Bezirksbürgermeister im Berliner Bezirk Neukölln etliche Hartz-IV-Empfänger persönlich kennengelernt“ hast.

Völlig richtig. Und deshalb solltest du genau diese Leute – einige von ihnen werden sich bei RTL bewerben – jetzt auch bitte nicht verarschen. Denn diesem „Sozialexperiment“, das weißt du doch auch, liegt schließlich folgendes Drehbuch zugrunde: Auf der einen Seite die abgehängten Verlierer, die selbst an ihrem Unglück Schuld sind, weil sie ihre Sozialhilfe bloß in einen größeren Flachbildfernseher investieren. Unmündige Kinder allesamt, denen die Leistungsträger dieser Gesellschaft, also du und deine Experten auf der anderen Seite, ein bisschen auf die Sprünge helfen müssen.

Diskriminierende, paternalistische Stereotype – die gerade dir, der du die Neuköllner so lange als ihr Bürgermeister vertreten hat, doch eigentlich viel zu platt sein sollten. Andererseits erinnern wir uns noch gut daran, was du einmal in einem Zeitungsinterview zur Erhöhung des Kindergelds gesagt hast: diese „Prämie“ werde doch in der Unterschicht eh bloß „versoffen“. Also, diese Einstellung musst du aber mal ganz schnell vergessen, als Hartz-IV-Experte mit dem 25.000-Euro-Köfferchen bei RTL.

Nichts für ungut!

Anna Klöpper