heute in hamburg
: „Sinne werden ausgetrickst“

VORTRAG Ein Philosoph erklärt, dass es für Virtual-Reality-Brillen einen Verhaltenskodex braucht

Michael Madary

Foto: Minya Backenköhler

39, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Arbeitsbereichs für Theoretische Philosophie der Uni Mainz.

taz: Herr Madary, derzeit feiert die „virtuelle Realität“ mit digitalen 360-Grad-Brillen einen Durchbruch. Wo sehen Sie Chancen?

Michael Madary: Durch virtuelle Realität kann viel Gutes entstehen. Neue Kunst, Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten, Bildungschancen. Ich bin gespannt auf die Zusammenarbeit von Künstlern und Technologen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren menschlicher Zivilisation haben wir ein neues Medium.

Sehen Sie keine Probleme?

Wir haben uns damit befasst, wie virtuelle Realität missbraucht werden kann. Dafür haben wir psychologische Studien der letzten 50 Jahre berücksichtigt. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass virtuelle Realität Einfluss auf unser Verhalten nehmen kann, nachdem wir die virtuelle Umgebung verlassen. Wir befürchten, dass Leute virtuelle Realitäten kreieren können, die nicht im besten Interesse der Nutzer sind.

Können Sie Beispiele nennen?

Sie könnten psychologische Manipulation nutzen, um Konsumentenverhalten zugunsten ihrer Interessen zu steuern. Bei der „virtuellen Schlucht“, einem älteren Experiment, wurde ein Brett auf den Boden gelegt und die Probanden gebeten, drüberzulaufen. Durch die Virtual-Reality-Brille sah es aus, als führe das Brett über eine tiefe Schlucht. Die Körper der Probanden haben reagiert, als würden sie wirklich über eine Schlucht gehen. Die Herzfrequenz stieg, sie schwitzten, manche konnten gar nicht über das Brett gehen. In einem anderen Experiment wurden Menschen im Vorfeld gebeten, einer bestimmten Hautfarbe positive und negative Attribute zuzusprechen. Nachdem die Probanden anschließend selbst mit dieser Hautfarbe in einer virtuellen Welt unterwegs waren, bewerteten sie diese nach wenigen Minuten positiver. Sie waren weniger rassistisch.

Sie haben einen „Verhaltenskodex für virtuelle Realität“ verfasst. Warum brauchen wir den?

Einer der großen Aufgaben des Kodex ist es, zu identifizieren, wo die Risiken liegen. Ein wichtiger Faktor bei virtueller Realität ist, dass die Sinne sehr eindringlich ausgetrickst werden können. Der Körper reagiert, als würde die Situation dir wirklich widerfahren. Man kann ein Buch lesen, einen Film schauen und sich fühlen, als sei man dabei. Aber das kann man nicht mit der Erfahrung virtueller Realität vergleichen.

Interview: Hannes Vater

19 Uhr, Moot Court, Bucerius Law School, Jungiusstraße 6