Hausbacken neu definiert

Immobilieninvestment Die Berliner Demeter-Bäckerei Märkisches Landbrot vermietet an ihre Mitarbeiter Wohnungen. Dabei wird nicht abkassiert, sondern ein ganz anderer Lohn eingefahren

Gemeinsam mit einer Runde von mehreren Unternehmern entwickelte Christian Felber das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie als Alternative zu kapitalistischer Marktwirtschaft und zentraler Planwirtschaft.

Felber ist ein österreichischer Autor, Referent zu Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen sowie Gründungsmitglied von Attac Österreich.

Nach Felber beruht die Gemeinwohl-Ökonomie „auf denselben Verfassungs- und Grundwerten, die unsere Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen“ und ist „einerseits eine vollethische Marktwirtschaft und zum anderen eine wirklich liberale Marktwirtschaft.“

Eine „Gemeinwohl-Bilanz“ nach den Richtlinien des Vereins zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie erstellen rund 200 Betriebe, darunter die Sparda-Bank München, die Sparkasse Dornbirn und die Firma Vaude.

von Lars Klaaßen

Die Bäckerei Märkisches Landbrot mit Sitz in Berlin-Neukölln ist ein Traditionsbetrieb. Vor über 80 Jahren wurden die ersten Öfen dort angeheizt. Seit 1981 wird ausschließlich ökologisch und seit 1992 in Demeter-Qualität gebacken. Das Unternehmen hat 49 feste Mitarbeiter (auch in Teilzeit), davon fünf Bäckermeister und zwei Auszubildende. So wie das Unternehmen sich zu Beginn der achtziger und der neunziger Jahre auf etwas Neues eingelassen hat, wird auch jetzt ein weiterer Schritt getan. Die Bäckerei macht in Immobilien.

Motivierte Mitarbeiter

Joachim Weckmann, einer der beiden Geschäftsführer, hat mit zwei weiteren Personen ein Wohnhaus gekauft, einen Altbau, in dem bereits Mieter leben. „Mit der Eigentümergesellschaft habe ich vereinbart, dass mindestens ein Drittel der Wohnungsfläche, also mein Anteil, Mitarbeitern von Märkisches Landbrot zum Wohnen angeboten wird“, sagt Weckmann und betont: „Bestandsmieter werden dafür nicht gekündigt. Das soll schrittweise mit der natürlichen Fluktuation der Mieter erfolgen.“

Die Eigentümer fühlen sich den Grundsätzen der Gemeinwohlökonomie nach Christian Felber verpflichtet. „Nicht jeder hat Bedarf an preisgünstigen Mitarbeiterwohnungen, aber es gibt einen Konsens über den Bedarf an kostengünstigem Wohnraum, der dem spekulativen Charakter des Marktes entzogen werden soll“, so Weckmann. „Unser wirtschaftliches Ziel ist es, mit kostendeckenden Mieten zu arbeiten.“ Das wird von der finanzierenden Triodos Bank gefördert. Die Bäckerei vermietet die Wohnungen ohne Aufschlag an ihre Mitarbeiter weiter, also für 6 bis 6,50 Euro pro Quadratmeter. Die Rendite liegt laut Weckmann bei 3 Prozent, ein weiterer Mehrwert: „Ein schöner Lohn sind auch motivierte Mitarbeiter, die mit Überzeugung hinter ihrem Arbeitgeber stehen.“

Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Märkisches Landbrot können mietende Mitarbeiter ihre Wohnung behalten. Wie motivierend solch ein Angebot wirken kann, verdeutlicht die Entwicklung im direkten Umfeld: Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat auf Basis von Daten des Portals Immoscout errechnet, dass die Quadratmeterpreise in Berlin-Neukölln bei Neuvermietungen zwischen 2010 und 2014 um 58 Prozent gestiegen sind – so stark wie in keiner deutschen Großstadt.

Gerade in urbanen Ballungsräumen, wo Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter suchen, wird Wohnraum knapp – und damit teuer. Der Fachkräftemangel macht erfinderisch. Es sind nicht nur große Konzerne, die mit verschiedenen Instrumenten im Wohnungsmarkt agieren, wie das Beispiel Märkisches Landbrot zeigt. „Heute fehlen hunderttausende Wohnungen in Deutschland, und zwar vor allem in den städtischen Wohnungsmärkten“, sagt Arnt von Bodelschwingh, Geschäftsführer des Berliner Instituts RegioKontext, das zu den Themen Stadtentwicklung, Wohnungsmärkte und Wirtschaftsförderung forscht. „Vor allem neue Wohnungen für Haushalte mit mittleren Einkommen für Haushalte mit unteren Einkommen – also Sozialmietwohnungen – sollten erstellt werden.“ In diesem Segment gingen Nachfrage und Angebot besonders stark auseinander. Bodelschwingh hat im April die Studie „Wirtschaft macht Wohnen“ erarbeitet. Sie befasst sich mit einem Modell, das Teil der Lösung werden könnte: bezahlbare Wohnungen, die Unternehmen Ihren Mitarbeitern bereitstellen. Wer nun an Werkswohnungen denkt, von denen es laut Schätzungen noch Ende der siebziger Jahre rund 450.000 gegeben hat, liegt nicht ganz falsch. Was zwischenzeitlich als überholtes Modell abgetan wurde, kommt wieder. Unternehmen kümmern sich zunehmend wieder um Wohnungen für ihre Mitarbeiter, allerdings auf neuen Wegen. Die Renaissance der Mitarbeiter-Wohnungen findet dort statt, wo die deutsche Wirtschaft brummt.

Das Angebot der Neuköllner Demeter-Bäckerei unterscheidet sich von anderen aktuellen Modellen ebenso wie vom historischen Vorgänger, der Werkswohnung. „Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Häuser von Industriekonzernen – vor allem im Ruhrgebiet – gebaut wurden, bestand eine Bindung der Werkswohnung an den Arbeitsplatz“, sagt Bernd Fuhrmann. Der Historiker an der Uni Siegen befasst sich mit der Geschichte des Wohnens. „Damit hatten die Arbeitgeber bei Auseinandersetzungen ein starkes Druckmittel in der Hand, Kündigung bedeutete zugleich Wohnungsverlust.“ Wie auch die heutigen Mitarbeiterwohnungen waren schon Werkswohnungen das Produkt einer Mangelsituation. Damals wurden für die ersten großen Fabriken dringend Mitarbeiter gesucht – und zwar viele. Der lokale Wohnungsmarkt und die kommunale Wohnungswirtschaft waren nicht in der Lage, für die stark wachsende Bevölkerung ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. „Wie heute wurden vor allem qualifizierte Fachkräfte mit bezahlbarem Wohnraum angesprochen“, so Fuhrmann, „Erst später rückten dann auch Meister und Vorarbeiter in den Fokus.“

Kostengünstigen Wohnraum dem spekulativen Markt entziehen

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein blieb Wohnraum knapp und teuer. Erst in den siebziger Jahren entspannte sich der Markt deutlich. Die Anzahl der Mitarbeiter in großen Konzernen nahm zudem ab. „Zeitgleich wurden die Wohnimmobilien der Unternehmen zu einem erheblichen Kostenfaktor“, erläutert Fuhrmann. „Die Häuser waren weiten Teils in die Jahre gekommen, statt Sanierung erschien Verkauf attraktiver.“ Die städtebauliche Qualität einiger Siedlungen ist zum Glück wiederentdeckt worden. Einige wurden unter Denkmalschutz gestellt. Viele Städte erließen Erhaltungssatzungen. Auch heute sind viele der ehemaligen Werkswohnungen bei Mietern begehrt.

Unternehmen, die heute Wohnungen für ihre Mitarbeiter bereitstellen, bauen keine Siedlungen mehr im großen Stil. Bodelschwingh unterscheidet in seiner Studie drei idealtypische Organisationsmodelle, in denen die aktuelle Bandbreite an Lösungswegen zusammengefasst ist. Im ersten Modell wird lediglich die reine Bautätigkeit und damit die Erstellung des Wohngebäudes nach außen vergeben. Die anschließende Verwaltung und Bewirtschaftung der Objekte verbleibt in der Hand des Unternehmens oder alternativ in der Hand des Unternehmers als Privatperson.

Es geht auch mit Partner

Das zweite Modell geht davon aus, dass eine unternehmenseigene Fläche für den Bau genutzt oder an einen Partner verkauft wird. Die entstehenden Wohnungen können entweder vom Unternehmen selbst verwaltet werden oder in der Hand des immobilienwirtschaftlichen Kooperationspartners verbleiben. In diesem Falle erhält das gewerbliche Unternehmen ein Kontingent an Belegungsrechten über eine bestimmte Zahl von Wohnungen, die an seine Mitarbeiter vergeben werden können. Auf dieser Idee basiert auch das dritte Modell, bei dem jedoch im Unterschied zum vorherigen unternehmensseitig keine geeigneten Flächen eingebracht werden können. Auch in diesem Fall, so die Studie, zeige sich ein praktikables Realisierungsmodell, das sich in der Praxis bereits bewähre.