Eine Linie, die endlich verbindet

ERSTER BUS ÜBER DIE ODER

Die Nachbarstadt Slubice wird in Frankfurt auch als Bedrohung gesehen

Für die Bewohner von Frankfurt (Oder) ist Slubice sowohl Sehnsuchtsort als auch dunkles Geheimnis. Eine 230 Meter lange Brücke verbindet die Ortskerne der beiden Städte, die bis 1945 zusammengehörten. Auf der polnischen Seite ist auf den ersten hundert Metern jedes Haus ein Ladengeschäft mit blinkender Werbung, entweder für Zigaretten oder fürs Haareschneiden. Später folgt ein größerer Platz voll mit eng gestellten Buden, in denen Händler selbst geflochtene Körbe, geräucherten Käse oder eingelegte Gurken anbieten.

Viele Frankfurter gehen über die Brücke nach Polen, aber sie schämen sich dafür. Drüben ist alles billiger, das lockt einerseits. Wer drüben einkauft, erhöht aber auch die Arbeitslosigkeit auf der Frankfurter Seite. Weil das Geld dann den Frankfurter Geschäften fehlt.

Das ist das Dilemma. Deshalb wird Slubice in Frankfurt auch als Bedrohung gesehen. Und deshalb gibt es zwar eine Kooperation auf wissenschaftlicher Ebene – die Frankfurter und Posener Universität haben in Slubice eine gemeinsame internationale Lehr- und Forschungseinrichtung. Aber im Alltag wachsen beide Städte nur langsam zusammen.

Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis das Liniennetz des Frankfurter Nahverkehrs sich auf die Nachbarstadt ausweitet. Im Jahr 2006 hatten die Frankfurter bei einem Bürgervotum noch dagegen gestimmt, dass eine Straßenbahn über die Brücke fahren soll. Danach hat es noch mal ein paar Jahre gedauert. Ab diesem Sonntag führt nun die Buslinie 983 über die Brücke – und auch wieder zurück.

Die Slubicer übrigens haben kein Problem mit dem Einkaufen in Frankfurt. Auch in Richtung Deutschland gibt es nämlich Einkaufsverkehr – denn nur auf der Frankfurter Seite steht eine Filiale von H&M. Sebastian Heiser