Die Schickeria setzt sich durch

CONTRA Kreuzberg kämpft gegen die Aufwertung – vergeblich. Die berühmte Kreuzberger Mischung gibt es bald nicht mehr

VON UWE RADA

Kreuzberg scheint seinem Ruf mal wieder alle Ehre zu machen. Aktivisten und Betroffene verhindern Zwangsräumungen, Flüchtlinge reklamieren den öffentlichen Raum am Oranienplatz für sich, Mieterinnen und Mieter sind kampagnenfähig und treiben dem rot-schwarzen Senat mehr Schweißperlen auf die Stirn als die Opposition aus Grünen, Linken und Piraten zusammen. Auch in Zeiten eines Immobilienbooms, der sich inzwischen zum Sturm ausgewachsen hat, soll die Botschaft sein: Kreuzberg zeigt wieder Zähne. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

Die Kreuzberger Mischung war einst sprichwörtlich: Dieses Mit- und Nebeneinander von Spießern und Migranten, Punks und Studenten, Intellektuellen und Arbeitern, Gewinnern und Zurückgebliebenen war der lebendige Beweis dafür, dass in Berlin für jeden Platz ist – auch in der Innenstadt.

Doch dieses Kreuzberg gibt es nicht mehr. Längst ist es dem Kreuzberg der zahlreichen Parallelgesellschaften gewichen. Den Yuppies gehört die Bergmannstraße, den Ökos der Wrangelkiez, den Armen das Kottbusser Tor.

Die Mietspirale hat die Kreuzberger Mischung auseinandergetrieben und viele Kreuzbergerinnen und Kreuzberger in die Enge. Ende der neunziger Jahre zog eine Bekannte aus der Wrangelstraße weg. Sie konnte den Uringestank im Treppenhaus nicht mehr ertragen. Der Wrangelkiez galt als sozialer Brennpunkt.

Würde sie heute in ihr altes Haus zurückziehen, würde sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Es stinkt nicht mehr in den Treppenhäusern. Günstige Mieten? Die gibt es nicht mehr. Der Druck im Kessel steigt.

Das hat vor allem mit den besser verdienenden Zuzüglern zu tun, die die Preise für Neuvermietungen nach oben getrieben haben. In der Vergangenheit sind diese Aufwertungswellen immer wieder abgeebbt. Wer Kinder bekam, zog spätestens vor der Einschulung weg. Inzwischen bleiben die Neuen und schicken ihre Kinder auch auf die Schulen vor Ort. Kleine Inseln entstehen, sie werden immer größer. So begann es auch in Prenzlauer Berg. Bis die Inseln schließlich keine Inseln mehr waren. Und sich die eine Parallelgesellschaft gegenüber den anderen durchsetzte.

Nun wenden manche ein, es seien die Migranten, die Kreuzberg vor einem ähnlichen Schicksal bewahren. Als eine Art Gegengift gegen den Bionade-Biedermeier. Hoffnung adieu: Im Bergmannkiez und am Lausitzer Platz war dieses Gegengift wirkungslos.

Und die Aktivisten und Betroffenen von Kotti und Co? Die machen keine Stellvertreterpolitik mehr wie früher, sondern kämpfen ums eigene Dableiben. Das ist authentisch – und nicht weniger dramatisch. Es könnte ihr letztes Gefecht sein in Kreuzberg.