Zwischen bürokratischem Wirrwarr und Babylächeln

Neugeboren Die Journalistin Dima Al Bitar Kalaji konnte nicht lange herumsitzen: Kaum war sie in Deutschland angekommen, fing sie an, über ihre Schwangerschaft zu bloggen und Radio zu machen. Jetzt ist das Baby da und Kalaji versucht, eine Aufenthaltsgenehmigung für ihre Tochter zu bekommen

„Ich muss endlich Deutsch lernen. Ich möchte zukünftig auf keinen Fall die Mutter sein, die beim Elterntreffen der Kita nicht genug Deutsch sprechen kann“, sagt Dima Al Bitar Kalaji, hier in ihrem Wohnzimmer

von Dima Al Bitar Kalaji
Foto Karsten Thielker

Als die taz Ende letzten Jahres ein Interview mit mir machte, war ich im fünften Monat schwanger. Zweimal wöchentlich schrieb ich auf meinem Blog „Dima + 1“ über meine Erfahrungen als Schwangere in Berlin. Später wurde ich gefragt, ob ich zu den Themen meines Blogs auch ein Online-Radioprogramm machen kann.

Jetzt ist meine Tochter 20 Wochen alt – ein niedliches, fast fünf Monate altes Baby, das bis jetzt keine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland hat. Sie lächelt, denn sie weiß noch nicht, dass sie Probleme mit ihren Papieren hat. Und wenn sie lächelt, vergesse ich auch die Sorgen, die ich mir deswegen mache.

Immerhin haben wir nach vielen Besuchen auf dem Standesamt mit vielen Papieren, die alle übersetzt und beglaubigt werden mussten, kürzlich eine Geburtsurkunde für unser Baby bekommen! Aber wir sind trotzdem noch am Anfang des Schlamassels: Denn da mein Mann und ich anerkannte Flüchtlinge aus Syrien sind, dürfen wir keinen Kontakt zu syrischen Regierungsstellen aufnehmen, auch nicht zur Botschaft in Berlin. Wir können für unsere Tochter also keinen syrischen Pass beantragen. Ohne den bekommt sie aber keinen Aufenthaltstitel in Berlin. Nun wurde uns geraten, erneut Asyl zu beantragen – diesmal „Familienasyl“. Und bis das Bundesamt für Asyl entschieden hat, ob es diesen erneuten Antrag positiv entscheidet, hat meine Tochter eine befristete Aufenthaltsgenehmigung.

Dass ich etwas gebloggt habe, ist nun eine Weile her. Aber ich möchte das fortsetzen, denn viele Frauen haben mir geschrieben, dass meine Informationen hilfreich für sie waren. Ich plane nun, über meine Erfahrungen als junge Mutter in Berlin zu schreiben. Denn die sind bisher – vom bürokratischen Wirrwarr abgesehen – sehr schön, auch wenn es nicht einfach ist, das erste Baby fern von der Familie und den alten engen Freundinnen und Freunden zu bekommen. Mein Mann Bassam und ich wissen nicht, wann unsere Eltern Gelegenheit haben werden, ihr erstes Enkelkind kennenzulernen. Es ist schwer, die speziellen Momente ausschließlich per Skype oder WhatsApp zu teilen.

Egal wie viele Bücher und Artikel ich vorher gelesen hatte, als ich erstmals Mutter wurde, habe ich mich anfangs ganz auf mich allein gestellt gefühlt. Mein Ehemann und unsere Hebamme waren mir eine große Hilfe. Trotzdem habe ich mir oft gewünscht, meine Mutter möge an meiner Seite sein, einfach, um sie sagen zu hören: „Hey, das ist ganz normal, reg dich nicht auf.“ Ja, auch das geht per Skype: Aber man muss viel Geduld auf­bringen, oft stundenlang auf eine gute Internet­verbindung warten – oder darauf, dass sie in ­Syrien Strom haben.

Was mich wirklich begeistert, ist das Hebammensystem hier. Was für eine große Unterstützung und Hilfe diese erfahrenen Frauen für Schwangere und junge Mütter sind! Es hat mich überrascht, wie wenig Geld sie mit dieser wichtigen Arbeit verdienen, und ich verstehe, dass immer mehr von ihnen ihre Arbeit aufgeben.

Was mir ebenfalls am Elternsein in Berlin gefällt, ist, wie Eltern und junge Mütter sich gegenseitig unterstützen. Bevor mein Baby auf die Welt kam, hatte ich keinen Kontakt zu anderen Müttern. Ich habe keine Freunde, die Babys haben. Dann habe ich über eine Facebook-Elterngruppe gefragt, ob jemand Lust auf gemeinsame Spaziergänge mit Kinderwagen hat. Und ich war erstaunt, wie viele Reaktionen ich bekam. Meine Anfrage eröffnete mir den Zutritt zu einer Welt, von der ich vorher nicht gewusst hatte, dass sie existiert: eine Welt, in der nicht nur Ratschläge und gegenseitige Unterstützung ausgetauscht werden, sondern auch Spielzeug, Kleidung, Möbel oder Kinderwagen. Seither komme ich in den Genuss, einmal wöchentlich mit anderen Müttern Mittag zu essen, während unsere Babys ihre Muttermilchmahlzeiten genießen.

Ich habe mir oft gewünscht, meine Mutter wäre hier, einfach, um sie sagen zu hören: „Hey, das ist ganz normal, reg dich nicht auf.“ Ja, auch das geht per Skype: Aber man muss oft stundenlang warten, dass sie in Syrien Strom haben

Und: Dadurch kam zu meiner Entscheidung für die Mutterschaft eine andere wichtige Entscheidung dazu. Sie lautet: Ich muss aufhören, mich auf mein Englisch zu verlassen und endlich Deutsch lernen. Obwohl ich das meiste verstehen kann, habe ich immer noch nicht den Mut, selbst Deutsch zu sprechen. Aber ich möchte zukünftig auf keinen Fall die Mutter sein, die beim Elterntreffen der Kita nicht genug Deutsch sprechen kann.

Zumal ich erstaunlicherweise plötzlich ausgezeichnet Deutsch sprechen konnte, als ich zur Geburt in die Klinik kam. Da kamen Wörter aus meinem Mund, von denen ich gar nicht gewusst hatte, das ich sie kenne. Außerdem heißt es ja, mit jeder Sprache, die man lernt, entdecke man eine neue Seite der eigenen Persönlichkeit. Und ich bin neugierig zu erfahren, was Deutsch in mir zum Vorschein bringen wird.

Doch sosehr ich mein eigenes Dasein als Mutter auch genieße: Es bringt mich auch dazu, mehr und mehr über die Situation der Mütter in Syrien nachzudenken. Selbst Mutter zu sein hat meine Sensibilität dafür erhöht, in welcher dramatischen Situation sie und die Kinder in Syrien sich befinden. Und wie sehr es nötig ist, dieses Leiden endlich zu beenden. Mein Kopf ist voller schmerzhafter Bilder und Videos – und einer hartnäckigen Frage: Wie lange soll das noch so weitergehen?

Übersetzung aus dem Englischen: Alke Wierth