Frei zum Abschuss

Mit einer neuen Jagdverordnung schießt die Regierung in Kiel übers Ziel hinaus. Die Grünen erwägen eine Klage

Das Waidmannsglück ist Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher nicht hold. Gerade rechtzeitig zur Jagdsaison wollte der Jägerfreund eine neue Verordnung zum Jagdgesetz in Kraft treten lassen, die den Waidmännern entgegenkommt. Damit aber hat der Minister weit über das Ziel hinausgeschossen, meint Karl Martin Hentschel von der Grünen-Opposition: „Wir lehnen den Entwurf ab. Die Mängel sind so schwerwiegend, dass eine Überarbeitung keinen Sinn hat.“

Sieben böse Fehlschüsse hat er festgestellt, darunter Verstöße gegen den Artenschutz und damit gegen EU-Recht: Weit mehr Tierarten als in jedem anderen Bundesland würden zum Abschuss freigegeben, bei den längsten Jagd- und den kürzesten Schonzeiten. Das Töten vieler Kleintiere wie Marder und Dachse sowie zahlreicher Vogelarten diene dem reinen Lustgewinn. Die Verordnung sei ein Geschenk an die Jägerlobby – mit weit reichenden Folgen: „Durch die Ausdehnung der Jagdzeiten wird die Scheu vieler Tiere wachsen, sie werden unsichtbar.“ Das schade dem Image des Landes und sei ärgerlich für die Touristen, die Fuchs und Gans mit nichts Gefährlicherem als Fotoapparaten auflauern: Statt naturnahes Paradies sei Schleswig-Holstein dann „Ballerland Nr. 1“.

Komplexe Zusammenhänge habe die geplante Verordnung gar nicht im Visier: Etwa, dass Blässhühner, die künftig auf der Abschussliste stehen sollen, Nahrung für den Seeadler sind. Oder dass geschützte und ungeschützte Schwäne- und Möwenarten einander so ähnlich sehen, dass es die falschen treffen könnte.

Argumentative Munition besorgte sich die grüne Fraktion beim Wissenschaftlichen Dienst des Landtages. Die Fachleute melden immerhin erhebliche Zweifel an, ob Paragraf 1 der Verordnung, die die jagdbaren Arten nennt, rechtlich Bestand hat. Das Landwirtschaftsministerium gab bekannt, dass das Gutachten sich auf eine ältere Fassung der Verordnung beziehe – zahlreiche Punkte seien bereits nachgebessert.

Ein Zeichen dafür, dass der Vorschlag einigen Mitgliedern der Regierung doch zu weit ging? Insgesamt folge die Verordnung Bundesgesetzen, und einer Klage sehe man „sehr gelassen entgegen“, so das Ministerium. Über eine solche denken die Grünen nämlich gerade nach.

Esther Geißlinger