: Alles andere als mies
Weichtiere Wir essen sie mitunter lebend, aber davon bekommen sie nicht viel mit. Austern und andere Muscheln haben jetzt Saison. Ein kulinarischer Ausflug ans Meer
von Christine Berger
Vegetarier und Tierversteher lesen jetzt besser mal weg: Muscheln sind nur genießbar, wenn man sie lebendig in den kochenden Sud wirft, Austern schlürft man sogar gleich lebend – die Säure im Magen macht ihnen dann den Garaus. Doch ganz so brutal, wie es auf den ersten Blick erscheint, ist das nicht. Endorphinen sei Dank, die Muscheln genauso wie Menschen unter anderem als Schmerzstiller ausschütten, sollen sie laut Wissenschaft vom elenden Ende ihres Daseins nicht mehr viel mitbekommen. Also kann man sich durchaus mittelguten Gewissens dem Genuss der Schalentiere widmen, die in ihrer natürlichen Umgebung täglich hunderte Liter Wasser filtern und als Kläranlage der Gewässer gelten. Über die Herkunft sollte man sich daher durchaus Gedanken machen, auch die Jahreszeit spielt eine nicht unerhebliche Rolle.
Nehmen die Muscheln etwa im Sommer häufig auch gifte Algenstoffe auf, ist das im Herbst/Winter selten der Fall. Weshalb genau jetzt die Hochsaison für Muschelessen beginnt. Allen voran sind in Deutschland Miesmuscheln gängig. Frische Miesmuscheln erkennt man daran, dass sie nach Meer und Algen riechen. Ihre Schalen müssen fest verschlossen sein oder schließen sich bei leichtem Klopfen sofort. Bleiben sie offen, sind sie tot und müssen aussortiert werden. Generell sollten Miesmuscheln so schnell wie möglich zubereitet werden, sprich nach dem gründlichen Waschen in einem Sud aus Brühe und Weißwein mit viel Knoblauch und Gemüse etwa 15 Minuten gekocht werden. Haben sich nicht alle Muscheln beim Kochen geöffnet, heißt es wieder aussortieren – die geschlossenen ab in den Mülleimer. Muschelfleisch ist unterschiedlich gefärbt, daraus kann das jeweilige Geschlecht ermittelt werden. Orangefarbenes Fleisch stammt von einem weiblichen Weichtier, am beigefarbenen Fleisch ist das Männchen erkennbar. Der Geschmack ist bei beiden derselbe. Ein Kilo Muscheln pro Person sollte man schon einplanen, denn davon bleiben nur etwa 200 bis 250 Gramm Essbares übrig.
Der Verzehr von Fisch ist gesund.Seefisch etwa enthält Jod, Selen und Omega-3-Fettsäuren, die dein Körper gut gebrauchen kann. Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung darf gerne ein bis zwei Mal in der Woche etwas aus See, Fluss oder Meer auf den Teller kommen.
Ein Biosiegel gibt es für wild gefangenen Fisch zwar nicht. Orientierung gibt aber neben dem Marine Stewardship Council (MSC siehe Haupttext) ein Siegel von Naturland: Es zertifiziert Fische aus nachhaltigen Aquakulturen. „Auch wenn bei den Zertifikaten die Kriterien nicht streng genug sind, sind sie ein Schritt in die richtige Richtung“, urteilt Greenpeace.
Der WWF und Greenpeace haben jeweils einen Ratgeber für den Fischkauf herausgegeben. In den Broschüren ist detailliert aufgeführt, welche Arten aus welchen Beständen wild oder gezüchtet mit gutem Gewissen gekauft werden können.
Der „Fischratgeber 2016“ von Greenpeace kann hier kostenlos heruntergeladen werden: www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/rz_gp_plakfschrgbr_a3_low.pdf
In Deutschland verspeiste Muscheln sind im Idealfall vom MSC (Marine Stewardship Council) zertifiziert und stammen unter anderem aus dem Wattenmeer-Nationalpark in der Oosterschelde, einem Meeresarm im Mündungsdelta von Rhein, Maas und Schelde. Die Zertifizierung, der sich fast zehn Prozent aller weltweit verkauften Fischprodukte unterziehen, sorgt für nachhaltiges Wirtschaften und Bestandsschutz. Der MSC wurde 1997 von der Umweltorganisation WWF und dem Lebensmittelkonzern Unilever ins Leben gerufen, um das globale Problem der Überfischung anzugehen. Seit 1999 ist der MSC von beiden Organisationen unabhängig und wacht über das weltweit bekannteste ökologische Zertifizierungs- und Kennzeichnungsprogramm für nachhaltige Fischerei. Jede zu bewertende Fischerei wird individuell unter die Lupe genommen, indem ein unabhängiger Zertifizierer die Bestandssituation, die Auswirkungen der Fischerei auf das Ökosystem sowie das Management der Fischerei anhand von 28 Leistungsindikatoren kontrolliert.
Neun Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte werden jährlich aus zertifiziertem Fang in den Handel gebracht, was angesichts von 167 Millionen Tonnen Fisch, davon 93,4 Tonnen aus Wildfang, insgesamt immer noch nicht viel ist. Greenpeace hat in diesem Jahr einen Einkaufsratgeber zum Thema Fisch herausgebracht, der Verbraucher unterstützen soll, bestandsfreundlich einzukaufen. Auch Kochbücher, wie „Die neue Fischkochschule“ aus dem Christian Verlag geben nicht nur delikate Rezepte preis, sondern erklären, wie und wo man Fisch am besten kauft und auf was man achten muss, auch in Bezug auf die Frische. Die Autoren des Kochbuchs „Fische aus heimischen Seen und Flüssen“ empfehlen, am besten den Fang vor der eigenen Tür zu genießen. Wer nicht am Meer wohnt, hat meistens Flüsse und Seen in der Nähe, die Schleien oder Hecht bieten – eine Delikatesse und einfach im Backofen zubereitet, zum Beispiel mit Gemüse, Kräutern und Kartoffeln gegart. Süßwasserfische sind zwar seltener zertifiziert, aber Binnenfischer wirtschaften in der Regel seit Generationen nachhaltig, sonst wären längst keine Fische mehr da.
Tillmann Hahn, Nicole Knapstein, Ulrike Kirmse: „Die neue Fischkochschule“. Küchenpraxis, Warenkunde, 150 Rezepte. Christian Verlag 2014 (geb.), 19,99 €.
Ingo Swoboda, Jacqueline Vogt: „Fische aus heimischen Seen und Flüssen“. Regionale Produkte – kochen und genießen mit gutem Gewissen, Franckh-Kosmos Verlag 2011, 14,95 €.
Susi Eising, Martina Görlach, Odette Teubner: „Das große Buch der Meeresfrüchte“. Teubner Verlag 2015, 29,99 €.
Neben Miesmuscheln werden Jakobsmuscheln und sogar Garnelen aus europäischer Produktion angeboten, die vom MSC zertifiziert wurden. Austern, die etwa im dänischen Limfjord gefischt werden, sind ebenfalls nachhaltig und schmecken mit einem Schuss Zitronensaft besonders gut.
Der beliebteste MSC-Fisch in Deutschland ist schon seit vielen Jahren der Seelachs. In Form von Fischstäbchen, Schlemmerfilet oder als Backfisch verschwindet er zu Tausenden täglich in den Bäuchen (jeder Deutsche vertilgt im Schnitt 24 Fischstäbchen pro Jahr). Dass sich Fisch hinter der Panade versteckt, realisieren besonders Kinder nicht immer. Die Frage, ob in den Stäbchen tatsächlich Fisch ist, wird häufig gestellt, sobald der Nachwuchs sprechen kann. Das ist dann allerdings einfacher zu erklären, als die Tatsache, dass man soeben lebendige Weichtiere ins kochende Wasser geschmissen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen