Die Grünen warten auf 2007

Scherf geht, die Bundestagswahl ist gelaufen: viel zu besprechen für die Bremer Grünen, die am Samstag ihren Parteitag abhielten. Die Botschaft der Spitzen: Offenheit nach allen Seiten sei angesagt. Landesvorstand im Amt bestätigt

„Keine gute Zeit für eine Opposition“, stellt Karoline Linnert nüchtern fest

Bremen taz ■ Wie es weitergeht nach Scherf und nach der Bundestagswahl, darüber diskutierten die Bremer Grünen bei ihrer Landesmitgliederversammlung am Samstag. Die wiedergewählte Bremer Abgeordnete Marieluise Beck will als Vizepräsidentin des Bundestages kandidieren, und die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Anja Stahmann sicherte ihr „volle Unterstützung“ zu.

Die wird sie brauchen – vermutlich treten in der grünen Bundestagsfraktion auch andere an, wo es doch sonst so wenige Posten zu besetzen gibt. Die Grünen sind bundesweit in der Opposition angekommen – in den Landtagen in Düsseldorf und Kiel, jetzt auch in Berlin. „Das rot-grüne Projekt ist zu Ende“, formulierte Marieluise Beck die Erkenntnis, die auch Joschka Fischer zum Rückzug aus der Politik bewogen habe. Der habe Rot-Grün als „sein biografisches Projekt“ betrachtet, seine Verdienste seien unbestritten. Aber: Der „Rücktritt von Joschka hat uns auch neue Türen geöffnet“, formuliert Beck vorsichtig.

Die Grünen definieren die Opposition als eine Übergangszeit, in der man sich wieder aufs Regieren vorbereitet. Offenbar geht es ihnen weniger darum, der Linkspartei einige Prozente abzujagen, im Gegenteil: Man werde sich bundesweit auf Zustände einrichten müssen, in der fünf Parteien in den Parlamenten sitzen, erklärte Parteisprecher Dieter Mützelburg. Regierungsmehrheiten, wenn es nicht immer die große Koalition sein soll, könnten rein rechnerisch nur drei Partner bilden. Eine neue Lage für das Nachkriegsdeutschland, die, so Mützelburg vorsichtig, Offenheit erfordere. Auch in Richtung Linkspartei.

Dass die Grünen diese Diskussion in Berlin gerade verpasst haben, erklärt Beck mit der Festlegung auf die Koalition mit der SPD. Eine „manchmal fast babylonische Gefangenschaft“ sei das gewesen, „wir hatten uns in einen Lagerwahlkampf eingesperrt“. Die FDP auch. Und vor dem „hochriskanten Projekt“ der Jamaika-Schwampel hatten offenbar alle Angst, auch die Grünen – und verkündeten das Scheitern schon vor der ersten Annäherung. Ernsthaftere Gespräche hätte sie sich gewünscht, sagt die Europaabgeordnete Helga Trüpel.

In solche ungewohnten Bündnisse „steigt man unten ein“, sagt Beck, auf Landesebene müsse man das ausprobieren, bevor es auf Bundesebene aktuell werden könnte. In Wahrheit, findet Marieluise Beck aber auch, sei im Verhältnis zu den Schwarzen die „Substanz der Differenz nicht so groß wie sie im Wahlkampf erschienen ist“. Migration, Steuerpolitik, soziale Sicherheit, Bildung seien die Themenfelder. Die Grünen müssten ihr „Alleinstellungsmerkmal“ herausarbeiten, um dann in alle Richtungen bündnisfähig zu sein. Letztlich würden aber die Wahlergebnisse entscheiden – Kompromisse seien in jedem Bündnis erforderlich. Ähnlich äußert sich später noch Ralf Fücks, der Chef der Böll-Stiftung, der in einer glücklosen Bremer Dreier-Konstellation, der Ampel, Senator war. Die drei „Größen“ der Bremer Grünen, die in ihrer politischen Karriere Bremen schon hinter sich gelassen haben, waren auffallend einig: Der Sinn der Partei ist die Partizipation an der Macht.

Nächste Rednerin nach der Bundestagsabgeordneten Beck war die Bremer Fraktionssprecherin Karoline Linnert, deren Abneigung gegen Gedankenspiele mit den Schwarzen bekannt ist. Bei einer 22-Prozent-CDU wie in Bremen sei die Diskussion überflüssig, hatte ihr Marieluise Beck schon eine Brücke gebaut. „Bremen sucht einen neuen Bürgermeister“, holte Linnert aus – das sei aber Sache der SPD. Sie machte deutlich, dass die Grünen sich jetzt nicht einmischen, die SPD nicht unter Legitimationsdruck setzen wollen durch die Frage, warum die SPD jetzt so treu zur CDU steht – trotz der „vernichtenden Bilanz“, mit der Scherf von Bord geht. „Bremens Ruf ist beschädigt wie nie zuvor“, sagt Linnert, auf Jahre sei das Geld aufgebraucht. Bremen macht jährlich „eine Milliarde neue Schulden in der durchsichtigen Erwartung, dass die anderen weiter die Zeche zahlen“, formulierte das Ralf Fücks später. Eine Perspektive für Bremen gebe es nicht in der Politik der großen Koalition, resümiert Linnert, „diese Legislaturperiode ist verplemperte Zeit“ – für Bremen.

Die Grünen machen Politik für 2007, das Jahr der Wahl in Bremen. Das Problem: Die finanziellen Zwänge gelten für alle, man kann nur eine andere Sparpolitik machen. „Keine gute Zeit für eine Opposition“, stellt Linnert nüchtern fest, es gebe keine Strahlkraft von der Art: „Mit uns wird alles gut.“ Die Akzente, die Grüne setzen können, liegen in Zwischentönen. Anfang November soll es ein Treffen mit den niedersächsischen Grünen geben, die die Frage künftiger Selbstständigkeit Bremens ganz anders sehen als hierzulande. Und irgendwann wird der geplante Kongress über Bremens Zukunftschancen nachgeholt. Denn während die Koalition – vorangetrieben von der CDU – die letzten Reserven verpulvere, so hatte Linnert betont, sei die grüne Politik nicht nur der Gegenwart, sondern auch der Zukunft verpflichtet.

Eine breitere Diskussion gab es nicht. Die Grünen sind zufrieden mit ihren Wahlergebnissen und ihren Führungsfiguren – das zeigte auch die Wiederwahl des Landesvorstands. Der hatte sich brav um seine Arbeit gekümmert und sogar 17 neue Mitglieder hinzugewonnen in den vergangenen zwei Jahren. Ein steiniger Acker offenkundig. Dieter Mützelburg wurde mit 54, Susan Mittrengra mit 44 von 58 stimmen wiedergewählt.

Klaus Wolschner