berliner szenen Bitte Ziesen!

Versiebte Verdichtung

Die Schärfe ist irgendwie unscharf, sagte eine junge Frau mit Blick auf die Textwand zu ihrem Freund, mit dem sie am Samstagnachmittag Hand in Hand durch den Innenhof des Sony Centers am Potsdamer Platz schlenderte. Ein Mensch als kleiner Klumpen mit einem Frauenkopf bahnte sich im Rollstuhl durch die vielen Leute. Man schaute auf die fortlaufenden Texte der Autoren Ulrike Draesner, Uwe Kolbe, Monika Rinck und Tom Schulz.

Die Dichter dichten, die Zuschauer simsen, alles ist auf der Wand mitzulesen, ein Dialog entsteht. So zumindest die schöne Idee von „React. Sie werden verdichtet“, einer Veranstaltung der Literaturwerkstatt. Aber es flutschte nichts, wie es sollte. Draesner kämpfte mit technischen Problemen. Einzig Rinck schrieb sich in eine Art Rausch und bat nach einer Weile erschöpft: „könnte mir jemand ein neues päckchen ziesen raufbringen, rote gauloises. ich zahle sie natürlich.“ Lange war die SMS „Katja, mampf net so viel“ das entmutigende letzte Wort des Publikums. Kolbe reactete mit Menschenekel: „Ist die Simulation der Zweisamkeit hier die Regel? Händchen halten. Vermischung fremden mit fremderen Schweißes.“ SMS: „Warum springt nicht mal einer aus Textwand? Textdiving?“ Schulz: „naja, wenn ihr action wollt, geht in den zoo.“

Schlechte Laune verbreitete sich und machte unglücklich. Eine Publikums-SMS wollte trösten: „ja, dichter brauchen viel schönheit – schönheit beengt nicht.“ Und Draesner verdichtete: „der vorteil einer schreibe aus zucker ist vor allem auch, dass man sie nach dem sprung aufessen kann.“ Aber hier war nichts aus Zucker, die zäh in die Computer gehackten Worte schmeckten nach Scheitern. Und das war dann wieder trotz allem gut.

KATRIN SCHINGS