KOMMENTAR: UTA GENSICHEN ÜBER DIE SCHOCK-THERAPIE
: Gaffer bestrafen, nicht erziehen

Was soll jemanden auf einem Bild schockieren, das ihn live nicht abgeschreckt hat?

Ginge es nach der Feuerwehr, müssten Unfallgaffer für ihre Untätigkeit härter bestraft werden. Ginge es jedoch nach Schleswig-Holsteins Innenminister Klaus Schlie (CDU), säßen die nach Dramatik gierenden Zuschauer demnächst in Polizeistationen herum, um sich Fotos von Unfallopfern anzugucken. „Schocktherapie“ nennt Schlie diese Idee. Doch was soll jemanden auf einem Bild schockieren, das ihn live vor Ort nicht im Mindesten abgeschreckt hat?

Wer Rettungskräften tatenlos dabei zusieht, wie eine Frau aus einem brennenden Auto herausgeschnitten wird, und trotz Aufforderung nicht hilft – muss juristisch dafür belangt werden. Nur eine Haft- oder Geldstrafe durchdringt die abgestumpfte Hülle eines Menschen, der bei dem Anblick eines Sterbenden zu verroht ist, um mitzufühlen.

Darauf zu hoffen, Gaffer mit einer Diashow im Schnellverfahren zu besseren Menschen zu machen, ist naiv. Denn sie haben bereits mit allen Sinnen das Krepieren genossen: Sie haben gellende Schreie gehört, auslaufendes Benzin gerochen und schmerzverzerrte Gesichter gesehen. Den Reflex zu helfen haben diese Eindrücke trotzdem nicht aktiviert.

Schiels Idee von einer Bildertherapie ist gut gemeint. Wäre der Wille, Gaffern eine Lektion zu erteilen, aber ernst gemeint, dürfte nicht mit erzieherischen Mitteln gedroht werden – sondern mit dem Gesetz.