Der Staatsschauspieler

Otto Schily irritiert mit seinem Auftritt in der „Cicero“-Affäre. Er mimt den Verteidiger des Rechts – gegen eine Welt von Ignoranten. Diese Rolle liebt er

„Der Vorwurf von Frau Roth ist an Albernheit nicht zu übertreffen“

VON STEFAN REINECKE

Schily über den Innenausschuss:

Im September wurde Peter Glotz in der Schweiz beerdigt, unweit der deutschen Grenze. Auch Otto Schily war dort. Zum Erstaunen einiger Anwesender erschien dort kein grantelnder, innerlich gepanzerter Minister, sondern ein sanfter, weltzugewandter Bildungsbürger. „Otto muss nur ein paar Kilometer jenseits der deutschen Grenze sein, und schon fällt seine Ministermaske ab“, so ein SPD-Genosse.

Schily über die grüne Parteichefin:

Im Oktober ist die Ministermaske wieder im Einsatz. Für den Staat, für die Ordnung, auch für sich selbst. Es geht um die Polizeiaktion gegen die Zeitschrift Cicero, die aus geheimen BKA-Akten zitiert hatte. Fast alle halten die Aktion für überzogen, für unverhältnismäßig. Die Journalisten sowieso, aber auch die Politiker. Nur einer nicht – Otto Schily, der für das BKA verantwortlich ist. Im Spiegel hat er nun ex cathedra erklärt, was von seinen Kritikern zu halten ist. Es sind samt und sonders „Hanseln“, die „töricht“ und „albern“ reden und keine Ahnung von der Gesetzeslage haben. Das Gesetz versteht nur er, den Ernst der Lage auch.

„Ich bin doch sehr erstaunt über die Rechtsunkenntnis einiger Abgeordneter“

Dieses Spiel „Einer gegen alle“ gehört zu seinen Lieblingsrollen. Gerade wenn er mit dem Rücken zur Wand steht, wird Schily herrisch. Das war so, als die rot-grüne Regierung 2002 das selbst verschuldete Desaster des NPD-Verbotsantrags erlebte. Damals wurde sein Rücktritt gefordert. Auch 2002 reagierte er wie heute: Attacke statt Selbstreflexion.

Schily über die Vorsitzende des Kulturausschusses:

Einer gegen alle – diese Rolle entspricht seinem Elite-Bewusstsein, der kristallklaren und tief in seiner Kindheit verwurzelten Überzeugung, etwas ganz Besonderes zu sein. Auch seine politische Karriere verdankt Schily in seiner Sicht fast nur sich selbst – und keinem Kollektiv, das seinem Ego Grenzen setzen würde. In den Parteien, den Grünen und der SPD, ist er stets ein Fremder geblieben. Perfektioniert hat Schily seine Fähigkeit, sich mit rhetorischen Bluffs, schneidender Distanz und kalter Logik durchzusetzen, als Strafverteidiger im Gerichtssaal. Etwa in Stammheim, als er vor dreißig Jahren als RAF-Anwalt gegen Bundesanwaltschaft, Richter und die öffentliche Meinung kämpfte. Auch damals lautete die Rolleninszenierung „Einer gegen alle“. Den Vorsitzenden Richter, so ein Prozessbeobachter, behandelte Schily mit „jenem schnarrenden, herablassenden Ton, in dem in seinem Elternhaus das Hausmädchen abgekanzelt wurde, wenn es die Treppe nicht richtig geputzt hatte“. In der gleichen Tonlage redet er heute über die „Hanseln“, über Claudia Roth oder den SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz, die nicht kapierten, dass bei der Cicero-Razzia die Staatsraison verteidigt werden musste. 2001 redete er mit der gleichen kalten Verachtung über alle, die zweifelten, ob ein NPD-Verbot glücken kann, wenn doch deren Spitze bekanntlich mit Zuträgern des Verfassungsschutzes durchsetzt ist. Und Schily ist lernresistent. Schuld an dem blamablen NPD-Verbotsantrag ist für ihn bis heute das Bundesverfassungsgericht.

Schily über die SPD-Fraktion:

„Geheimnisverrat“, so Schily heute, „ist nicht irgendeine Ordnungswidrigkeit. So kann man mit dem Staat nicht umspringen.“ Und mit ihm, dem Verantwortlichen für das BKA, erst recht nicht. In solchen Sätzen erscheinen Schily und Staat wie Synonyme: L’état c’est moi. In solchen Sätzen geht es nur um das Prinzip, nicht um Verhältnismäßigkeit oder politische Klugheit. In seinem Selbstbild hat Otto Schily sich übrigens nicht grundlegend geändert.

„Frau Griefahn sollte sich bei mir entschuldigen für ihr törichtes Gerede“

„Es sind doch nur ein paar Hanseln, die mich kritisieren“

Als RAF-Verteidiger und Minister – stets hat er dem Recht gedient. In unterschiedlichen Rollen eben. Erst als Anwalt von Staatsfeinden, dann als Minister und Staatsschauspieler. Von außen mag dies als Bruch erscheinen, aus Schilys Perspektive nicht. Als er Mitte 20 war, wollte er Schauspieler werden. Vielleicht ist das ein Schlüssel, um Schily zu verstehen – jemand, der seine Rollen so überzeugend spielt, dass alle ihn damit identifizieren. Alle, sogar Otto Schily selbst.

Aber spätestens seit er als Minister und Staatsschauspieler auftritt, ist Schily ein anderer geworden. Ein Staatsfundi, der auch das Bundesverfassungsgericht kritisiert, wenn es nicht spurt. Schily glaubt weniger an das Recht als an den wehrhaften Staat, der seinen Bürgern Sicherheit und Freiheit schenkt. Dafür muss er, der Innenminister, sorgen, indem er Parteien verbieten lässt oder die Presse zur Raison bringt, wenn sie sich ungebührlich in die Staatsgeschäfte einmischt. Es ist viel 19. Jahrhundert in diesem Bild. Und wenig demokratische Selbstverständlichkeit.

Vom Autor erschien 2003 die Biografie: „Otto Schily. Vom RAF-Anwalt zum Innenminister“