„Cicero“ beschäftigt Innenausschuss

Abgeordnete bestellen Innenminister Otto Schily (SPD) zu einer Sondersitzung ein. War die Durchsuchung der Redaktion eine Verletzung der Pressefreiheit? FDP, Linkspartei und Grüne drohen gar mit Untersuchungsausschuss

BERLIN taz ■ Fünf Tage bevor Otto Schily als Alterspräsident den neuen Bundestag eröffnen darf, hat er am Donnerstag ein letztes Mal das Vergnügen mit alten Bekannten. Die Mitglieder des bisherigen Innenausschusses haben den Nochminister zu einer Sondersitzung hinter verschlossenen Türen zitiert. Auf der Tagesordnung steht nur ein Thema: „Cicero“ – ein Fall, der nicht nur Journalisten, sondern auch Innenpolitiker aller Parteien empört.

Die Fragen an den Gast liegen auf der Hand: Was wussten Schily und sein Ministerium über die umstrittenen Durchsuchungen in der Redaktion des Monatsmagazins Cicero und im Wohnhaus eines Journalisten? Und: Wurde im Namen staatlicher Sicherheitsinteressen die Medienfreiheit verletzt?

Der Sachverhalt: Am 12. September hatten Ermittler acht Stunden lang das Wohnhaus des Cicero-Mitarbeiters Bruno Schirra gefilzt. Nach Angaben des Journalisten zogen sie mit 15 Kisten Recherchematerial wieder ab, darin nicht nur Unterlagen über den Fall, um den es ging, sondern quasi sein gesamtes Archiv. Zeitgleich machten sich Fahnder in der Potsdamer Cicero-Redaktion zu schaffen, kopierten die Computer-Festplatte eines Redakteurs.

Auslöser der Razzia war ein Artikel über den islamistischen Terroristen al-Sarkawi, erschienen in der April-Ausgabe von Cicero. Schirra zitiert darin aus einem 125-seitigen Papier des Bundeskriminalamts (BKA) über den Terroristen, das als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ – eingestuft war, vulgo als streng geheim.

Der Artikel löste Großalarm im BKA aus: Wie konnte das Geheimpapier an die Öffentlichkeit geraten? Die hausinternen Ermittlungen nach dem Leck floppten offenbar. So beließ es die Behörde nicht bei einer auf das eigene Personal zielenden Anzeige gegen unbekannt wegen Geheimnisverrats. Auch gegen Schirra wurde ein Verfahren eingeleitet wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat. Ein ungewöhnlicher Weg, denn das Gesetz beschränkt den Kreis potenzieller Geheimnisverräter eigentlich auf Beamte. Kein Wunder: Die Paragrafen sollen Staatsdiener zur Verschwiegenheit anhalten – aber nicht investigativen Journalismus unter Strafe stellen.

Kritiker der Razzia werfen Schily und dem BKA deshalb vor, die Pressefreiheit mit Füßen zu treten, um über Umwege unfolgsame Beamte zu enttarnen. Der Focus will gar erfahren haben, dass Schirra gezielt manipulierte Akten mit falschen Telefonnummern zugespielt wurden – um auf diesem Weg das Leck im BKA zu finden. Gegen die Behauptung erwirkte die Behörde allerdings inzwischen vor Gericht eine Unterlassungserklärung.

In jedem Fall sei Cicero kein Einzelfall, warnt der Deutsche Journalisten-Verband (DJV). Jüngstes Beispiel: Die Staatsanwaltschaft Chemnitz beschaffte sich die Telefonkontakte eines Fotoreporters, nur um auf diesem Weg einen Informanten aus Justiz- oder Polizeibehörden auszumachen. Das Thema „Cicero“ könnte Schily auch als Exinnenminister noch Schlagzeilen bringen: FDP, Linkspartei und Grüne drohen mit einem Untersuchungsausschuss, sollte der Gast vor dem Innenausschuss weiter auf Konfrontation steuern.

ASTRID GEISLER