Künstler, Hausbesetzer und Hedonisten

Europäischer Monat der Fotografie In der Galerie Zwitschermaschine zeigen die drei FotografInnen, Miron Zownir, Eva Otaño Ugarte und Sebastian Mayer, die wilden Seiten und Zeiten (1980–2000) von Berlin

Miron Zownir, Berlin 1979 Foto: Miron Zownir

von Detlef Kuhlbrodt

Im Berlin der 1980er Jahren gab es in der linksalternativen Szene den immer wieder gern zitierten Leitspruch „Lebe wild und gefährlich“. Es war dabei nicht ganz klar, was damit gemeint war; ein spannendes Leben vermutlich mit vielen Abenteuern, das genügend Stoff und Plots für einen interessanten Film bieten sollte.

Nicht erst seit der Erfindung von Punk, sondern schon Anfang der 60er Jahre, als das Label Beatgeneration als wild und authentisch vermarktet wurde, ist das Wilde im Umfeld der Subkultur die Pose.

In der Ausstellung „Wild Wild Berlin“ der Galerie Zwitschermaschine „präsentieren drei Fotografen drei Dekaden, drei Sichtweisen und drei Visionen von Berlins wildesten Seiten: Straßen, Chaos, Kunst, Popmusik, Subkultur“ heißt es im Ausstellungstext von Stephan Kruhl. Die Bilder sind im Uhrzeigersinn angeordnet; es beginnt mit Schwarz-Weiss-Fotografien von Miron Zownir aus den 80er Jahren. Eine große Brandmauer, auf der „die Mauer muss weg“ steht. Unter der Inschrift sieht man noch Reste einer paranoiden Botschaft des berühmten „Sendermannes“. Die kleinwüchsige Frau, die nackt in einer engen Toilette einen Mann umarmt, der eine schwarze Lederjacke mit Nieten trägt, sieht aus wie ein klassisches Bild aus den Anfangszeiten des Punk. Die Graffitis an den Wänden sind sympathisch. Ein grinsendes Mondgesicht zum Beispiel, das einen Joint raucht.

Ein Mann aus dem Nachtleben wohl, vielleicht ein Junkie, mit großer Sonnenbrille, der an einem dreckigen, grauen Morgen aus der U-Bahnstation Kurfürstenstraße kommt. Er grinst verpeilt etwas schief. Man denkt, der kommt bestimmt gerade aus dem „Risiko“, jener legendären 80er-Jahre-Kneipe an der Yorckstraße. Die Person – schwer zu sagen, ob Mann oder Frau – , vor einem weißen Pony, dass auf seinen Hinterfüßen steht, erinnert an die 50er-Jahre; den Fellini-Film „La Strada“, die großbusige, ausgiebig geschminkte Frau, die mit weit aufgerissenen Augen in einer Kneipe steht, lässt an die St- Pauli-Bilder von Günter Zint denken. Es gibt noch ein Foto das Harry Hass, den legendären Exbarkeeper des legendären Ex ’n’ Pop mit auf den Betrachter gerichteter Pistole zeigt. Die Aufnahme zitiert ähnliche Porträtaufnahmen von William S. Burroughs.

Eva Otaño Ugarte (*1964) fotografierte in den 1990er Jahren die Undergroundszene von Berlin Mitte. Zum Beispiel junge Hausbesetzer, die im Sommer 1992 aus Protest in der Fehrbelliner Straße auf Sperrmüllmöbeln übernachten. Anders als ihre Kollegen hat sie ihre Bilder betitelt. Ein junger Mann sitzt im Gegenlicht, mit übereinander geschlagenen Beinen am Schreibtisch. Man denkt „Künstler“; das S-W-Bild heißt aber „Boy coming down from acid-trip“. „Stasi-man“ zeigt einen Mann auf dem Polenmarkt, der aussieht, als käme er direkt aus dem Politbüro. Dass er ein Stasi-Mann ist, hat sich die Fotografin aber selber ausgedacht. Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme aus der Fehrbelliner Straße sieht aus, als wäre sie in den 40er Jahren entstanden. Ein großformatiges Farbbild zeigt junge Frauen auf der Toilette des „Loft“ nach einem Beastie-Boys-Konzert. Die Wildheit einiger Bilder erschließt sich erst, wenn man die Geschichten dazu kennt.

Peaches, gerade angekommen in Berlin

Der immer wieder gerne zitierte Leitspruch „Lebe wild und gefährlich“

Die Bilder von Sebastian Mayer sind zwischen Ende der 1990er und Anfang der Nullerjahre entstanden und zitieren teils andere Zeiten. Auf einem großformatigen, bunten Bild sieht man Peaches, die gerade angekommen in Berlin, auf einer Matratze mit Gitarre zwischen den Beinen im Glamrockstil der 70er Jahre posiert. Auf einem Schwarz-Weiß-Bild sieht man die zwei Jungs von Jeans-Team in einem abgerockten Club in Amsterdam auftreten.

Einige Bilder wirken ikonografisch; andere wie Momentaufnahmen. „Künstler, Hausbesetzer und Hedonisten jeder Couleur streben nicht nach kommerziellem Erfolg und verweigern sich der Anpassung ans Establishment“, heißt es im Ausstellungstext von Stephan Kruhl über die 80er und 90er Jahre. „Und heute in den späten 2010er Jahren, wo uns das „Wilde“ auf allen Ebenen des Politischen und Gesellschaftlichen anfällt […], scheinen die in der Ausstellung WILD WILD BERLIN in den Blick genommen Jahre ein idyllischer Ort irgendwo vor der Zeit, in der uns unser ganz eigener postkolonialer Albtraum einholt.“

Der Titel der Ausstellung zitiert übrigens das bekannte Lied „Wild World“ des Hippieschmusesängers Cat Stevens.

Bis 23. Oktober in der Zwitschermaschine, Potsdamer Str. 161, Mi–Fr 13–19 Uhr,Sa. 13–17 Uhr