Alle außer Kontrolle

Ryder Cup Dank einer Wildcard ist der deutsche Golfprofi Martin Kaymer beim am Freitag beginnenden Kontinentalduell gegen die USA dabei und könnte sich wieder als Glücksbringer erweisen

„Ein kühler, kalkulierender Mann“: Martin Kaymer wird von seinen Teamkollegen geschätzt Foto: dpa

Die Golfszene rüstet zum Showdown des Jahres. Wieder ist Ryder Cup, das prestigereiche Kontinentalduell USA gegen Europa. Wieder geht es um alles – an Ehre, Prestige, Mythosmehrung. Wieder nicht nach dem üblichen Zählspielmodus, sondern im Matchplay, Mann gegen Mann oder Doppel gegen Doppel. Golfspieler nehmen selbst spektakuläre Schläge nur distinguiert zur Kenntnis? Nicht beim Ryder Cup: Da werden sie zu Golfprolls, die zwischen hysterischen Zuschauermassen herumtanzen und manchmal wie von Sinnen brüllen.

Gespielt wird von Freitag (ab 14.30 Uhr MESZ) bis Sonntag im Hazeltine National Golf Club in Chaska, Minnesota. Wie fast immer gelten die USA als Favorit, „sie sehen sich auch selbst so“, wie Martin Kaymer lächelnd anmerkt. Das hat ihnen in den letzten acht von zehn Begegnungen nichts genutzt. Europa siegte, teils demütigend deutlich oder nach klarem Rückstand.

Der Rheinländer Kaymer, 31, ist zum vierten Mal in Folge dabei. Er liebt den Teamspirit beim Ryder Cup mehr noch als andere, „dass man füreinander kämpft, dass man von den anderen auch mitgezogen wird“. Voller Vorfreude sagt er über die Veranstaltung: „It’s a beauty“, eine eigene Schönheit. Ein Turniersieg auf der Tour ist ein Triumph, garniert mit einem dicken Scheck. Der Gewinn des Ryder Cups ist ein Ehrentitel auf Lebenszeit.

Kaymer fehlten zwar knapp ein paar Qualifikationspunkte, aber seine konstante Form der vergangenen Monate reichten zu einer der drei Wildcards, die Europas nordirischer Teamkapitän Darren Clarke vergab. Mit reichlich Vorschusslorbeeren: „Ich habe unheimlich viel Vertrauen in ihn. Er ist einer der angesehensten Golfer der Welt, ein kühler, kalkulierender Mann. Alle werden ihn unbedingt als Partner haben wollen.“

Die beiden anderen dieser „Captain’s picks“ für das 41. Duell gingen an Routinier Lee Westwood aus England und den 24-jährigen Novizen Thomas Pieters aus Antwerpen. Er ist damit erster Belgier der Ryder-Cup-Historie und überragt mit fast zwei Metern Größe gleich alle im Team.

Clarke wusste natürlich auch um Kaymers Glücksbringerrolle. Alle Auftritte des deutschen Profis von 2010 bis 2014 endeten mit einem Sieg der Europäer. 2012 hatte Kaymer seinen großen Moment, als sein Zweimeterputt am letzten Loch das große Duell entschied. Damals staunte die Golfwelt: Dieser zurückhaltende, kontrollierte Deutsche, lange schon als „The German Eisschrank“ apostrophiert, konnte ja toben, jubeln, jauchzen und wie von Sinnen umherspringen.

Martin Kaymer hat eine Saison ohne Titelgewinn hinter sich. Den Spielen in Rio mit der Golfpremiere seit 1904 hatte er enthusiastisch entgegengefiebert. Er blieb ohne Medaille (Platz 15), aber dennoch begeistert: alles sei so inspirierend gewesen, powervoll, überwältigend: „Die Energie, die aus dem ganzen olympischen Dorf kommt, ist unfassbar zu beschreiben“, schwärmte er. Spartanische Zimmer statt gewohnte Luxushotels waren für ihn ein Extraplus: „Hier kommt man gut auf den Boden zurück. Wir leben ja manchmal in einer Welt, die ein bisschen verzerrt ist.“

Kaymer ist entspannter geworden, mehr geerdet und er überrascht auch mal mit gelungenen Scherzen statt gestanzter Vokabeln. Kaymer ist Kaymer, nicht mehr Projektion für einen neuen Golfboom in Deutschland. Den Legendenstatus hat auf unabsehbare Zeit ohnehin Kollege Bernhard Langer gepachtet. Kaymer scheine mittlerweile, schrieb jetzt die Süddeutsche, „vielmehr wie Jeff Bridges als The Big Lebowski sein Ding zu machen“.

Idee und Pokalstiftung: 1927 vom englischen Samenhändler Samuel Ryder, der mit Tütensaatgut („penny packets“) Millionen machte. Der Pokal ist hässlich, klein, golden. Herstellungskosten damals 250 Pfund Sterling. Preisgeld gibt es keines.

Ranking im Weltsport: Nach Sommerolympia und Fußball-WM das drittwichtigste Ereignis (500 Millionen TV-Zuschauer und 40.000–50.000 Zuschauer täglich vor Ort). In Deutschland überträgt der TV-Sender Sky.

Gesamtbilanz: 26:14 für die USA, seit 1995 indes 2:8. Aktuell wird der Ryder Cup zum 41. Mal ausgetragen. Immer abwechselnd in USA und Europa. (müll)

Das große Prestigeduell Alte gegen Neue Welt beerdigt auch altes Nationaldenken: Nur beim Ryder Cup tritt ein Europa-Team an – 2016 kommen die 12 Spieler aus sechs Ländern; sechs Neulinge sind dabei. Es heißt sogar, eine Ryder-Cup-Teilnahme präge lebenslang den Schlaf: Jeder Albtraum handle automatisch von Momenten eines solchen Turniers, vom nervös verzogenen Abschlag, vom Zittern vor dem schiefen Putt, der dem Team alles kaputtmachen kann.

Die Briten bleiben nach dem Brexit übrigens laut Statuten zwar spielberechtigt, aber sie treten dann als Nicht-EU-Europäer aparterweise weiter unter der EU-Hymne „Ode an die Freude“ an. Bernd Müllender