Doppelter Kickflip im Gotteshaus

Das Bistum Essen schließt mehr als einhundert Kirchen für Gottesdienste, auch die evangelische Kirche denkt über neue Nutzungen nach. Schon jetzt können Jugendliche in heiligen Räumen skaten und klettern

VON ISABEL FANNRICH

„Biete Kirche, suche seriösen Nutzer.“ Solche Anzeigen könnten in naher Zukunft Normalität werden. Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt weiter, der Etat der Gemeinden schrumpft. Wie sollen die katholische und evangelische Kirche den Unterhalt ihrer vielen kaum genutzten Gebäude finanzieren? Etwa indem sie sie für Tennisplätze, Schwimmbäder oder Hotels öffnen wie in Großbritannien? Oder, etwas weniger kommerziell, Skater-Gottesdienste und Kletterparks für Teenies anbieten wie in der Oberhausener „Tabgha“-Jugendkirche? In NRW sollen jetzt sogar die Sakralbauten des Kirchenbauers Rudolf Schwarz nicht vom Rotstift der Kirchensanierer verschont bleiben. So steht dessen Ende der 50er Jahre erbaute Kirche Heilige Familie in Oberhausen mit mehr als 100 weiteren Gotteshäusern auf einer Streichliste des Bistums Essen.

Rund ein Drittel ihrer 355 Kirchen zwischen Duisburg und dem Sauerland wollen die Katholiken unter Bischof Felix Genn schließen, einer anderen Verwendung zuführen, notfalls auch abreißen. So lautet zumindest ein „verbindlicher Vorschlag“ des Bischofs, der bis Jahresende abgesegnet werden soll.

Im Bistum Essen, mit knapp einer Million Mitgliedern das kleinste in Nordrhein-Westfalen, scheint die Lage besonders dramatisch. Seit seiner Gründung 1958 ist ein Drittel der Mitglieder ausgetreten oder verstorben, finanzkräftigere Familien sind aus den Städten in nicht mehr zugehörige Randgebiete des Ruhrgebiets weg gezogen. Hohe Arbeitslosigkeit beutelt das Bistum zusätzlich, denn Menschen ohne Arbeit zahlen keine Kirchensteuern.

Dass nach dem Krieg nicht nur die alten Kirchen wieder aufgebaut, sondern auch rund 40 neue Gemeinden gegründet und für sie eigens neue Gotteshäuser errichtet wurden, erklärt zudem den heute eher lästigen Reichtum an sakralen Stätten. Unter Bischof Genn will das Bistum nun seine rund 260 Pfarreien zu 35 Großpfarreien zusammen legen – mit der Folge, dass viele Kirchen überflüssig werden.

Doch nach welchen Kriterien sollen die Kirchengebäude abgewickelt werden? Welche Rolle spielt dabei die architektonische Qualität? Herbert Fendrich, im Bistum Essen als „Bischöflicher Beauftragter für Kirche und Kunst“ zuständig, räumte jüngst auf einer Tagung der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Thema „Immobilie Kirche“ ein: „Natürlich haben Rudolf-Schwarz-Kirchen eine hohe Qualität.“ Allerdings habe bei den jüngsten Überlegungen des Bistums „architektonische Qualität keine große Rolle gespielt“.

Ob eine Kirche als liturgischer Ort erhalten bliebe, hänge vielmehr davon ab, wie viele Katholiken in ihrem Umfeld wohnten und wie gut sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sei. „In der Kirche Heilige Familie verloren sich die Menschen“, begründet er die in Oberhausen schon erfolgte Stilllegung. Treffen wird es hauptsächlich die modernen Kirchen aus der Nachkriegszeit, darunter so bekannte wie die Essener St. Engelbert-Kirche von Dominikus Böhm sowie die beiden Rudolf-Schwarz-Bauten St. Anna in Duisburg und Heilig Kreuz in Bottrop.

Was aber soll mit den Bauten geschehen? Oberste Priorität hat in den Augen des Bistums eine alternative Eigennutzung, etwa zur Altenpflege oder als Hospiz. Denkbar, aber wenig realistisch sind ökumenisch geteilte Nutzungen. Bei einer kompletten Umnutzung für kulturelle oder soziale Zwecke soll das Kirchengebäude so weit wie möglich erhalten bleiben. Mittlerweile häuften sich die Anfragen von Bestattungsunternehmen, die in Kirchen Abschiedsrituale zelebrieren wollen, berichtet Herbert Fendrich. „Abriss wird das letzte Mittel sein, aber in Einzelfällen unvermeidlich“, erläutert er das Motto des Bistums.

Liebfrauenkirche Duisburg. In der imposanten Doppelkirche von 1958 mit dunkler Betonverkleidung und kubischen Plexiglasfenstern, die zwischen hellem und dunklem Anthrazit changieren, traf sich die älteste katholische Gemeinde mitten im Zentrum zum Gottesdienst. Um den Bau durch alternative Nutzung zu erhalten, hat sich vor zwei Jahren die Bürgerinitiative „Brennender Dornbusch“ gegründet. Die Oberkirche soll nach ihren Vorstellungen als Begegnungsraum für Kunst und Religion dienen, die Unterkirche für den Dialog zwischen den Religionen. Dass die Oberkirche dann formell entweiht werden müsste, ist für den Prämonstratenser-Pater Philipp als Koordinator des Runden Tisches ein „Gebot der Würde“. Bis zum Jahresende muss die Initiative eine Million Euro auf den Tisch legen, damit das Bistum den Plänen zustimmt und eine Stiftung gegründet werden kann.

Auch die Evangelische Kirche im Rheinland steht vor einem Problem. Auf ihrem Gebiet in Nordrhein-Westfalen müssten allein von den 750 denkmalgeschützte Kirchen mehr als 100 saniert werden. Eine gewerbliche Nutzung von Gebäuden, die nach außen als Kirche kenntlich sind, ist tabu. „Man will keinen Missbrauch für einen funktionalen Zweck“, stellt Pressesprecherin Eva Schüler klar: „Abbruch geht vor Missbrauch.“ Seit Mitte der Achtzigerjahre hat die rheinische Landeskirche 39 Stätten umgewidmet, davon zehn verkauft oder abgerissen. Die Trendwende leitete das Jahr 2004 mit 22 „Fällen“ ein, berichtet Schüler. Für 2005 werden bis zu 13 Umwidmungen oder Verkäufe erwartet.

Wuppertal-Langerfeld, Kreuzkirche. Seit dem Jahr 2002 leben hier in 15 Wohnungen allein erziehende Mütter und Väter mit ihren Kindern. Für 2,65 Millionen Euro wurde das evangelische Gotteshaus, das 1911 gebaut worden war, unter Zuhilfenahme von ABM-Kräften zu einem Wohnhaus mit dazugehörigem Spielplatz umgebaut. Grund waren sinkende Kirchensteuereinnahmen.

Die Zahl der Pfarrstellen und Kirchen musste reduziert werden, eine weitere Kirche wurde an eine vietnamesische Gemeinde verkauft.

Obwohl im Erdgeschoss der Kreuzkirche ein Gemeinderaum von 100 Quadratmetern eingeplant wurde, reagierte die Öffentlichkeit auf die Umbaupläne zunächst mit Wut, erzählt die Gemeindepfarrerin Sabine Dermann. „Durch Besichtigungen des Gebäudes haben wir versucht, die Wogen zu glätten und Akzeptanz für die Umgestaltung herzustellen.“ Mittlerweile werde der Umbau akzeptiert, sagt die Pfarrerin. „Das Thema ist aktuell. Die Menschen sehen, dass wir rechtzeitig gehandelt haben – für einen guten Zweck.“