Vor sich abnutzender Kulisse

OPERNPREMIERE Die Staatsoper Hamburg eröffnet die neue Saison mit einer Neuproduktion von Mozarts „Zauberflöte“ – und sorgt für einen Buh-Sturm

Sie zumindest überzeugen: Dietmar Kerschbaum als Monostatos unter Christina Poulitsi als Königin der Nacht in der neuen Zauberflöte an der Staatsoper Hamburg Foto: Arno Declair

Ihre Melodien sind zum Mitsingen – und doch ist und bleibt „Die Zauberflöte“ rätselhaft. Wolfgang Amadeus Mozarts letzte Oper hat jetzt an der Staatsoper Hamburg die neue Saison eröffnet und gleich bei der Premiere für einen Sturm von Buh-Rufen gesorgt. Die Inszenierung von Jette Steckel versucht, die Widersprüche des Stücks für ein biografisches Stationendrama zu aktivieren. Vergeblich: Trotz greller Licht-Show zündet das Ganze nicht. Die Neuproduktion überzeugt dagegen vor allem musikalisch.

Tamino ist einer von uns und stirbt gleich zu Beginn: Herzinfarkt in der ersten Zuschauerreihe! Das Notarzt-Team rollt ihn auf einer Liege direkt ins ewige Licht. Und flugs verwandelt sich der bärtige Senior wieder in einen Säugling. Die drei Damen im Dienst der Königin der Nacht treten als Nonnen auf. Tamino wächst offenbar in einem Kloster auf.

Und so erzählt Jette Steckel die Zauberflöte als Gang durch Taminos Leben. Dafür streicht sie immer wieder Dialoge aus dem Original, um mit vielen Licht-Spielereien biografische Wendepunkte anzusteuern. Unzählige Vorhänge aus LED-Lichterketten liefern eine grell blinkende Kulisse, sie wirken wie Pixel in einem gigantischen Computerspiel.

Pamina, die große Liebe in Taminos Lebens, springt als Lichtgestalt in dessen Sinn. Labyrinthe, Muster, Weltraum-Bilder – alles lässt sich mit den blinkenden Kugeln zaubern. Auf Dauer strapaziert das Ganze allerdings die Augen, zumal diese kalte Ästhetik sich abnutzt. Und die Sänger geraten in den Schatten, wo sie oft rumstehen oder auf der Stelle laufen, während die Drehbühne rotiert. Intensive Interaktion bleibt die Ausnahme.

Die Königin der Nacht und ihr Gegenspieler Sarastro treten nicht auf der Bühne auf. Während sie ihre Arien im Orchestergraben singen, werden per Videokamera ihre Gesichter als holzschnittartige Konterfeis auf die Bühne projiziert. Beide Figuren werden so zu Handlungsprinzipien, zu inneren Kräften, die sowohl in Tamino als auch in Pamina wirken.

Ihren gemeinsamen Gefährten Papageno, der quirlige Vogelfänger im Original, macht Jette Steckel zum Außenseiter, zum Aussteiger mit Dreadlocks. Auch er turnt zu Beginn als Kind und Halbstarker über die Bühne – aus dem Ghettoblaster scheint seine Auftrittsarie zu tönen: „Der Vogelfänger bin ich ja.“ Später lebt Papageno im Pappkarton. Und die Inszenierung lässt ihn ganz nah ans Publikum ran. Am Ende des ersten Aktes animiert Papageno etwa das Publikum zum Mitsingen.

Der britische Bariton Jonathan McGovern belebt das verkopfte Konzept, indem er ungeachtet all der Spezialeffekte mit Herzblut singt und spielt – ziemlich nassforsch und nahbar. Er findet stark gealtert am Ende sein weibliches Pendant. So wie Tamino und Pamina als Greise – nach vielen Lebensprüfungen – gemeinsam ihren Weg vollenden. Der turkmenische Tenor Dovlet Nurgeldoyev und die Sopranistin Christina Gansch singen herzergreifend schön.

Überhaupt ist das Gesangsensemble erfreulich besetzt. Ob Christina Poulitsi als Königin der Nacht mit glasklaren Koloraturen oder Dietmar Kerschbaum als fieser Monostatos im Joker-Look. Mit weißgeschminktem Fratzengesicht und seiner chronischen Angriffslust ist er auch darstellerisch eine Wucht. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg spielt unter Leitung von Jean-Christophe Spinosi einen peppigen Mozart – mit Tempo, Zwischentönen und viel Ausdruck.

Mozarts Zauberflöte gehört laut Bühnenstatistik zu den Kassenschlagern. Und diese Oper gilt als Einstiegsdroge für potenzielle Opernfans. Natürlich ist es gut, an der Staatsoper Hamburg nach über 30 Jahren eine Neuproduktion anzusetzen, auch wenn die bisherige Inszenierung des Künstlers Achim Freyer von zeitloser Schönheit war. Jette Steckels letztlich recht poesieloses, blutarmes Stationendrama kann da nicht mithalten. Die Inszenierung zerstört nicht den Charme des Stücks. Vieles wird jedoch zu sehr verpixelt, abgeflacht. Schade.Dagmar Penzlin

Nächste Aufführungen: 27. und 29. September sowie 3., 6. und 12. Oktober

www.staatsoper-hamburg.de