LeserInnenbriefe
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Mär der „roten Linien“

betr.: „Wirtschaftslenker loben Gabriel“, taz vom 21. 9. 16

Wenn ein Boss eines großen Industrieunternehmens oder -verbands einen SPD-Politiker lobt, dann kann man eigentlich – ohne großartig über den Umstand des Lobes informiert sein zu müssen – sofort Shakespeare zitieren: „Something is rotten in the state of Denmark.“ Der „gute Tag für die Sozialdemokratie“ ist allenfalls ein „guter Tag für eine Lehrstunde in Sachen folgsamer Parteisoldaten“.

Ich bin aktives SPD-Mitglied und hätte in den letzten Monaten oder Jahren zirka zehnmal neu in die SPD eintreten müssen, um gleich darauf wieder zehnmal austreten zu können. Nun muss ich zugeben, dass sich gute Politik dadurch auszeichnet, dass Kompromisse beschlossen und danach auch getragen werden. Deshalb war auch ich, wie fast jeder andere Genosse, bereit, die Mär der „roten Linien“ zu glauben, die uns von Abgesandten von Land und Bund erzählt wurde. Leider wurde der Wunsch der Basis genauso schnell mit Füßen getreten, wie die SPD in Land und Bund über die „roten Linien“ sprang. Aus der Presse durfte ich entnehmen, dass man sich in NRW „ganz klar hinter Sigmar und Ceta stellt“. Ah so. Und jetzt beim Parteikonvent das gleiche Spiel. 300.000 Demonstranten auf die Straße zu bringen, wenn es nicht um Fußball oder die Erhöhung der Benzinsteuer geht, ist heutzutage sehr schwierig. Theoretisch wissen das alle Delegierten des Parteikonvents und hätten diese 300.000 Menschen sehr, sehr ernst nehmen sollen. In der Praxis scheinen ziemlich viele Delegierte die Beschlüsse und Wünsche der Basis und der Menschen auf der Straße vergessen zu wollen.

Ich sehe in Ceta, TTIP und Tisa exakt null Vorteile für die Bürger. Auf beiden Seiten des Atlantiks werden neue Strukturen geschaffen, die parallel zu den vorhandenen demokratischen Strukturen verlaufen. Es wird eine Paralleljustiz erschaffen, zu denen die Bürger – selbst in Form ihrer Parlamente – keinen Zugriff mehr haben werden. Und da die Verträge völkerrechtlich bindend sind, ist eine „Kündigung“ auf alle Ewigkeit ausgeschlossen. Wo bitte schön ist das ein Vorteil für die Bürger? Wenn man die Zölle hätte angleichen wollen oder der Autoindustrie ein paar Zugeständnisse hätte machen wollen, dann hätte man das auch ohne Freihandelsabkommen geschafft, die nur eines befreien: die Industrie auf beiden Seiten des Atlantiks von den lästigen Fesseln der Demokratie.

Es wäre Aufgabe der Volksvertreter gewesen, die Vorteile und Nachteile der Freihandelsabkommen zu erklären. Haben sie aber nicht. Konnten sie auch nicht. Ich frage mich, wie man völkerrechtlich bindenden Verträgen zustimmen kann, wenn man schon daran gehindert wird, den Vertragstext zu lesen. Liebe SPD-Parteikonventsmitglieder, SPD-Bundes- und Landtagsabgeordnete und Freihandelsabkommen-Befürworter: Unterschreibt ihr alle Verträge ungesehen?

Im Hinblick auf die 2017 anstehende Wahlen in NRW sehe ich für die SPD tiefschwarz. Ich gehe davon aus, dass sie weitere Stimmen verlieren wird. Und ich gehe ebenso davon aus, dass man sich nach den Wahlen wieder fragen wird, warum das so ist, dass noch weniger die SPD wählen. Die Antwort dazu findet die SPD eigentlich ganz leicht selbst. Wenn sie will.

UDO SIEBRASSE, Gelsenkirchen

Erfolgreiche Gehirnwäsche

betr.: „Wir wollen euch kämpfen sehen“, taz vom 19. 9. 16

Erfolgreiche Gehirnwäsche durch die Industrie-Lobbyisten: Unsere Politiker empfinden es als völlig natürlich, dass Konzerne vor den Kadi ziehen dürfen, wenn sie sich durch staatliche Vorgaben beim Kassemachen gestört fühlen. Wenn ein afrikanischer Bauer durch ein Freihandelsabkommen (das die EU seinem Land aufgezwungen hat) seine Existenz verliert, ist das halt Pech. Und wehe, wenn der Bauer sich auf den Weg in die EU macht … um Schadenersatz zu fordern. THOMAS DAMRAU, Böblingen

Sie lieben das Leben

betr.: „Pränatale Diagnostik“, taz vom 21. 9. 16

Dieser sehr anspruchsvolle Kinofilm („24 Wochen“) lässt die ZuschauerInnen teilhaben an einer Realität, die die Protagonistin authentisch zum Ausdruck bringt.

Dieser Film spiegelt unsere Gesellschaft in der Weise wider, dass bei der Diagnose „Downsyndrom“‘ fast ausschließlich gegen ES entschieden wird, auch wenn keine möglichen Komplikationen diagnostiziert werden. Neugeborene mit DS und einem Herzfehler haben heutzutage sehr gute Heilungsmöglichkeiten. Menschen mit Downsyndrom sind überhaupt Lebenskünstler, und sie lieben das Leben!

URSULA EGGERKING, Emden

Muslime, bitte bleibt!

betr.: „Weg hier? Und wenn ja, wohin?, taz vom 22. 9. 16

Liebe junge Muslime,

bitte bleibt! Und setzt euch ein für Meinungsfreiheit, Toleranz und soziale Gerechtigkeit hier! Für die Freiheit, Kopftücher zu tragen oder nicht, sich ungefährdet dort aufzuhalten, wo ihr wollt, für Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen!

Ja, ihr seid Teil des Ganzen, dieser Republik, genauso wie alle anderen, die hier leben. Sucht euch Unterstützung und werdet laut! Auch christliche Menschen – und andere – fühlen sich fremd in diesem Land – aus unterschiedlichsten Gründen. Und verliert euren Humor nicht! INGE WESSELS, Bielefeld