Der Mond wird abgegangen

Eine Forschungsstation auf der Rückseite des Mondes soll der stagnierenden Luft- und Raumfahrtindustrie in Norddeutschland aus der Krise helfen. Kosten für das Entwicklungsprogramm: Eine Milliarde Euro, zu zahlen aus öffentlichen Kassen

Auf der dunklen Seite des Mondes, da sieht die norddeutsche Raumfahrtindustrie ihre Zukunft. Eine große Forschungsstation soll es werden, irgendwo auf der erdabgewandten Mondoberfläche. 1.500 bremische Arbeitsplätze könnten mit so einer Mondbasis gesichert werden – das sagen die Firmenvertreter.

Bremen ist neben München der wichtigste Standort der deutschen Raumfahrtindustrie, zwei Konzerne sind im Stadtstaat beheimatet. Der größere von beiden, die EADS (European Aeronautic Defence and Space Company), hat in Bremen kürzlich 400 seiner vormals 1.200 Jobs abgebaut. Die Unternehmen hoffen nun, dass die europäische Raumfahrtagentur ESA die Kosten für ihr erwünschtes Standortprogramm zahlt. Geschätzter Preis: Eine Milliarde Euro, jeweils 100 Millionen Euro pro Jahr bis 2015.

Mit den eigenen Kräften sieht‘s schlecht aus, denn „die deutsche Raumfahrt stagniert“, sagt Hartmut Müller von der EADS. Zwar setzt die Branche in Deutschland jährlich 16 Milliarden Euro um, doch das Geschäft mit der Raumfahrt verläuft „betrüblich“, so der Branchenverband.

Den Vergleich mit der amerikanischen Raumfahrt muss man aus europäischer Sicht ohnehin scheuen: Die staatlichen Subventionen der NASA sind mit 15 Milliarden Euro fünf Mal so groß wie die der europäischen ESA. Selbst Japan investiert 2,5 Milliarden Dollar. Der deutsche Etat beträgt derzeit noch 700 Millionen Euro. Tendenz sinkend.

Die Station auf dem Mond soll es nun richten. Mit der Hilfe von Robotern wollen die Firmen auf dem Mond ein riesiges Radioteleskop errichtet werden, 100 kleine Antennen, die ein Gebiet von 300 Metern abdecken – und langwellige Signale aus der Anfangszeit des Universums auffangen. „Damit können wir in den Urknall hinein schauen“, schwärmt Müller. Später soll eine bemannte Forschungsstation folgen. Sie könnte etwa untersuchen, ob der Energiebedarf der Erde sich durch Energiequellen im All decken lässt. Auch gentechnische Experimente oder die Ausbeutung der Ressourcen des Mondes spielen in den Plänen eine Rolle.

Schon haben die USA beschlossen, bis 2018 eigene Leute auf dem Mond zu stationieren. Auch andere Staaten planen längst eigene Missionen, sagt der Chef des Raumfahrtunternehmens OHB, Manfred Fuchs. Deutschland dürfe nicht länger zusehen, wie Russland und die USA, Japan und China eigene Initiativen umsetzen.

Klar ist auch: Beim Traum vom Mond geht es nicht allein um die Astronomie. Es ist der „new frontier spirit“, der die Raumfahrtgemeinde umtreibt, im Deutschen nur schlecht mit „Pioniergeist“ wiedergegeben. Nicht zufällig vergleicht Müller die Raumfahrt von heute mit dem Eisenbahnbau des 19. Jahrhunderts.

In Bremen hat Müller kürzlich im Namen der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) zahlreiche internationale WissenschaftlerInnen und Unternehmen aus ganz Europa zu einem Symposium zusammengetrommelt. Männer in dunklen Anzügen, die sich in gediegener Atmosphäre versammeln und mit leuchtenden Augen von einer Mondstation „Made in Germany“ reden. „Es ist ein alter Traum“, schwärmt Astronom Heino Falcke. „Jetzt wird er möglich.“

Den Verdacht, hier sei nationales Prestigedenken im Spiel wischt Müller vom Tisch: „Wir wollen nicht nur eine Flagge auf den Mond stellen.“ Auch Schneider spricht lieber von einem „Aufbruch zu neuen Ufern“. Der Erdtrabant, eine Zwischenstation zum Mars. Nicht umsonst stand das Bremer Symposium unter dem Motto „To Moon and beyond“.

Früher war dies allein den USA vorbehalten. Heute heißt es aus den deutschen Konzernzentralen: Deutschland soll die Mond-Mission führen. Kommen wird sie so oder so, da sind sich alle Experten einig. Alle wollen zum Mond. Dennoch ist es das erste Mal, dass sich die hiesige Raumfahrt-Industrie traut, ihren Traum vom Mond gemeinsam und öffentlich zu propagieren.

Europa brauche ein „neues Leitprojekt“, findet Schneider. Ein „Leuchtturm“, an dem sich die Menschen orientieren, wenn sie „losmarschieren“. „Das lässt sich wissenschaftlich begründen, aber auch emotional.“

Geld jedenfalls ist auf dem Mond in absehbarer Zeit nicht zu verdienen. Daran ändert auch ein Weltraumtourist wie Gregory Olsen nichts, der kürzlich 20 Millionen Dollar für einen Trip ins All hinblätterte. „Bemannte Raumfahrt ist nicht kommerziell zu betreiben“, sagt Müller. Einzig beim Bau und Transport von Satelliten verdient die Branche ihr Geld unabhängig von staatlichen Aufträgen, selbst das Geschäft mit den Trägerraketen kann ohne staatliche Hilfe nicht überleben. Der kommerzielle Anteil mache bei den Bremer Firmen gerade einmal ein Fünftel des Umsatzes aus, schätzt Schneider. Doch der Markt schrumpft, sagt Schneider, und auch der Verlust eines Polarforschungssatelliten der Europäischen Raumfahrtagentur ESA am vergangenen Wochenende könnte sich negativ auswirken: „Der Ruf nimmt Schaden.“

Da kommt die Mond-Mission gerade recht. Der Bremer EADS-Chef Evert Dudok findet die Idee ohnehin „sexy“, dafür verbündet er sich gerne mit seinen Kontrahent von der OHB. Doch ohne eine handfeste politische Lobby bleibt die Reise auf den Mond ein Traum. Anfang Dezember berät die ESA darüber, wofür sie in den kommenden Jahren ihr Geld ausgeben will. Das Treffen der zuständigen MinisterInnen findet in Berlin statt. Die Neuwahlen könnten sich da als Glücksfall für die deutsche Industrie erweisen: Solange Edelgard Buhlman (SPD) Forschungsministerin war, hatten die Raumfahrt-Lobbyisten jedenfalls schlechte Karten. Doch in Zukunft fällt das Ressort der CDU/CSU zu. Jan Zier