Rote Probleme und schwarze Zukunft

Große Koalition im Bund: Hamburgs Wirtschaftskapitäne jubeln nur sehr verhalten, die Politiker in der Hansestadt vorsichtshalber gar nicht

Knallende Champagnerkorken sind nicht zu vermelden aus den Chefetagen der Hamburger Wirtschaft. Durchaus verhalten fiel gestern das Echo aus auf den Beginn der Koalitionsverhandlungen in Berlin zwischen CDU/CSU und SPD. Grundsätzliche Zustimmung mischte sich mit Bedenken gegenüber der künftigen Wirtschaftspolitik.

Die Parteien und „Frau Merkel“ übernähmen jetzt eine „historische Verantwortung“, orakelte Handelskammer-Präses Karl-Joachim Dreyer. Das Land könne sich „keinen weiteren Stillstand erlauben“, mahnte er, deshalb müsse es „nun absolute Vorfahrt geben für alles, was Arbeitsplätze schafft“. Und genau deshalb bezweifle er nachhaltig, so Dreyer, „ob es angesichts dieser Herausforderung sinnvoll ist, die Ressorts Wirtschaft und Arbeit zu trennen“.

Noch deutlicher wurde der um klare Worte nie verlegene Werner Marnette, Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH): „Ich halte die erneute Trennung der Ressorts Wirtschaft und Arbeit für falsch.“ Und wo er schon mal dabei war, hielt er auch in einem anderen Punkt mit seiner Einschätzung nicht hinter dem Berg: „Die Aufteilung der Energiepolitik zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium ist ein Fehler“, stellte Marnette, im Hauptberuf Vorstandschef der Norddeutschen Affinerie und damit eines der größten Stromverbraucher der Hansestadt, klar.

Zwar begrüße er die Einigung auf Angela Merkel als Bundeskanzlerin, so der IVH-Vorsitzende, allerdings habe er den Eindruck, dass wichtige Punkte „nicht im Sinne der Wirtschaft vorverhandelt worden“ seien.

Diese Einschätzung vermag GAL-Fraktionsvize Christian Maaß nicht zu teilen, doch gefällt ihm vor allem eine andere Vereinbarung der Berliner Großkoalitionäre überhaupt nicht: Verbraucherschutz und Landwirtschaft, bislang von der grünen Ministerin Renate Künast verantwortet, drohten unter einem Unions-Ressortchef wieder zu einem Bauernministerium zu verkümmern. „Eine Politik für industrielle Großerzeuger, nicht für die Konsumenten“, befürchtet Maaß: „Das gibt ein Rollback zur konventionellen Landwirtschaft.“

Und damit würden ökologischer Landbau, artgerechte Tierhaltung und gentechnikfreie Lebensmittel „nicht mehr gefördert, sondern geopfert“, glaubt Maaß unter Verweis auf die Politik in Hamburg. Seit CDU-Wirtschaftsminister Gunnar Uldall in der Hansestadt für Landwirtschaft verantwortlich ist, „wächst da nichts mehr“.

Bürgermeister Ole von Beust (CDU) beließ es gestern bei dem Appell an Union und Sozialdemokraten, „das anzupacken, was für Deutschland am wichtigsten ist“. Die Parteien müssten dafür sorgen, „dass die Wirtschaft wieder in Fahrt kommt, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden und dass alle am dadurch wieder wachsenden Wohlstand gerecht teilhaben“.

Deshalb gelte es nun, „nach vorn zu schauen“, so von Beust, der im Sommer vermutete Ambitionen auf einen Wechsel nach Berlin mit den Worten dementiert hatte, dort Minister zu sein, „sei doch öde“.

Hamburgs SPD-Chef Mathias Petersen erwartet „schwierige“ Verhandlungen. Er freue sich aber, dass bereits in den nun beendeten Vorgesprächen zu Koalitionsverhandlungen „unsere Forderungen wie die Beibehaltung des Kündigungsschutzes, der Erhalt der Tarifautonomie sowie der Steuerfreiheit der Sonn-, Nacht- und Feiertagszuschläge durchgesetzt werden konnten“.

Mit „blankem Entsetzen“ reagierte hingegen Johannes Kahrs, Chef des SPD-Kreises Hamburg-Mitte und dort direkt gewählter Bundestagsabgeordneter. Das Ganze sei „der geplante und vororganisierte Stillstand“, sagte der Sprecher des Seeheimer Kreises, der Kungelgruppe der Parteirechten. Vor allem behagen Kahrs die Ressortverteilungen nicht: Arbeit und Finanzen für die SPD, Innovation, Technologie und Familie für die CDU. Er frage sich, so Kahrs, „warum wir die Probleme haben und die Union die Zukunft“. Sven-Michael Veit