Neuer Heim-Skandal belastet Senatorin

Nach Berichten über weitere Rechtsverstöße im Geschlossenen Heim Feuerbergstraße fordert die rot-grüne Opposition den Rücktritt von Sozialsenatorin Schnieber-Jastram. Jugendliche seien ohne rechtskräftiges Gerichtsurteil festgehalten worden

von Eva Weikert

Angesichts neuer schwerer Vorwürfe gegen das Geschlossene Heim in der Feuerbergstraße hat die Opposition aus SPD und GAL gestern die Entlassung der Sozialsenatorin und Zweiten Bürgermeisterin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) verlangt. Zuvor waren Erkenntnisse des Arbeitsstabs des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zur Feuerbergstraße bekannt geworden, nach denen Jugendliche trotz Fehlens rechtskräftiger Gerichtsurteile ins Heim gebracht worden waren. Das sei „Freiheitsberaubung im Amt“, meinte SPD-Fraktionschef Michael Neumann und forderte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) auf, Schnieber-Jastram ihres Postens zu entheben und das Heim „zur Chefsache“ zu machen.

Seit Eröffnung der Geschlossenen Unterbringung im Januar 2003 gab es zahlreiche Ausbrüche und Pannen (siehe Kasten). Die Opposition lehnt die Einrichtung für jugendliche Straftäter ab. Die SPD hat Kritik an Konzept und Lage, ist aber anders als die GAL nicht generell gegen das Wegschließen Minderjähriger.

Gestern bekräftigte die Opposition ihre Forderung nach Schließung des Hauses, nachdem NDR und Abendblatt alarmierende Details aus einem vertraulichen Vermerk des PUA-Arbeitsstabs veröffentlicht hatten. Danach hat die Sozialbehörde in mindestens 13 Fällen die rechtsverbindliche 14-tägige Einspruchsfrist nach richterlicher Anordnung einer Heimeinweisung ignoriert und die Jugendlichen gegen geltendes Recht sofort einliefern lassen. Hinzu kämen weitere Rechtsverstöße.

So soll ein Jugendlicher gefesselt eingeliefert worden sein, obwohl dies nicht wie vorgeschrieben vom Gericht gestattet worden war. Rechtswidrige Gewaltanwendung sieht der Arbeitsstab auch in vier weiteren Fällen, in denen Jugendliche ohne spezielle Genehmigung durch Polizisten oder einen privaten Wachdienst ins Heim gebracht worden waren.

Zudem wären zwei Minderjährige länger dort festgehalten worden, als es die Richter erlaubt hätten. Auch sollen entgegen den Vorschriften in 21 Fällen die originalen Gerichtsurteile den Jugendlichen nicht zugestellt worden sein. „Das sind Verhältnisse, die an rechtsfreie Räume erinnern“, kritisierte der SPD-Obmann im PUA, Thomas Böwer. Die politische Verantwortung für die „Kette von Rechtsbrüchen“ trage die Senatorin, deren Behörde „völlig versagt“ habe.

Fraktionschef Neumann ergänzte, die „schlimmen Zustände“ in der Feuerbergstraße zeigten, dass das Konzept der Behörde gescheitert sei. Ressortchefin Schnieber-Jastram, die zurzeit die Türkei besucht, müsse ihre Reise abbrechen und sich den Vorwürfen stellen.

„Durch Freiheitsberaubung, rechtwidrige Verabreichung von Psychopharmaka und Vertuschungsversuche macht sich der Senat mit der Geschlossenen Unterbringung selbst zum Serientäter in Sachen Rechtsbruch“, kommentierte das grüne PUA-Mitglied Christiane Blömeke. Die hohe Zahl der Missstände zeige, „dass das Grundkonzept falsch ist“. Ob der schwerwiegenden Rechtsverstöße sei die Senatorin „untragbar“, so Blömeke, und müsse „Konsequenzen ziehen“.

Die regierende CDU wies die Forderung nach Entlassung Schnieber-Jastrams als „haltlos und unbegründet“ zurück. Sozialbehördenstaatsrat Klaus Meister sagte, seine Chefin sei „entsetzt und unglücklich“ über die neuen Vorwürfe. Zurzeit sehe sie aber keinen Grund, ihren Türkei-Besuch abzubrechen.

Wie Meister versicherte, wird seine Behörde die Beschuldigungen prüfen. Bestätigen konnte er gestern schon, dass wie behauptet gegen die Einspruchsfristen verstoßen wurde. Das Familieninterventionsteam (FIT), welches die gerichtlichen Beschlüsse erwirkt hatte, habe von der Frist nichts gewusst, so der Staatsrat.

Er habe das FIT jetzt angewiesen, künftig Anträge auf sofortige Vollziehung zu stellen. Auch wenn weitere Fehler festgestellt würden, betonte Meister, halte der Senat am Heim fest: „Für eine Schließung sehen wir keine Veranlassung.“