ausgehen und rumstehen
: Mit siebzehn Kilo Haargel verschönerte Jungspuntgäste tun auch nichts zur Erschließung der Welt

Am Sonntag fragte ich meinen Kumpel vorwurfsvoll, wieso er am Abend vorher nicht bei „The What...For!“ gewesen sei. Das sind doch alte Säcke, sagte der Mann, der jetzt nicht mehr mein Kumpel ist. Alte Säcke, sagte ich, alte Säcke, Mann, die sind so alt wie wir!!! Pah.

„The What...For!“ am Samstag im Roadrunners Club sahen super aus, trugen Pretty-Things-Klamotten, Them-Haarschnitte und Kinks-Posen, waren laut, waren spitze, spielten nur Hammerstücke nach und ohnehin – mehr Energie kann auf einer Bühne gar nicht autark entstehen. Froh kann man sein, dass Berlin in den Achtzigern nicht nur aus ums Risiko herumliegenden Heroinleichen und schlecht gelaunten Thekenkräften mit Nick-Cave-Frisuren bestand. Sondern dass wir, na ja, ich bin auch erst gegen Ende der Achtziger dazugekommen, also dass Berlin den zu schnieken Hamburger Mods mit ihren katastrophal gekleideten Modettes etwas Amtliches entgegensetzen konnte.

„The What … For!“ zum Beispiel, die angeblich alle auf der gleichen Schule waren, wie süß. Am Samstag brannte im Roadrunners Club jedenfalls die Luft bis hoch zum hübschen Motorrad, das wie eine Sixties-Schlachtschiff-Galionsfigur über der Bühne schaukelt, und ich persönlich habe überhaupt keine alten Säcke gesehen, nur gut gelaunte. Aber Sonntag!

Sonntag war ich bei der Mutter der beschissenen Veranstaltungen: Der CD-Release-Party eines Posers namens Fabian, der im komischen Friedrichshainer „Sanatorium“ (ein Laden, in dem die Getränkekarte so dämlich ver-designt ist, dass man Stunden braucht, um ein ordinäres Bier zu bestellen) seine Platte „Hauptstadtmusik“ vorstellte. Fabian trug schwarzes Hemd, schwarze Hose, weiße Krawatte und weiße Schuhe, und ich fragte mich und meine fassungslose Begleitung die ganze Zeit, ob das vielleicht ein Set einer Vorabendserie war. Solche schlimm getexteten und gesungenen Pseudoschlager hört man ansonsten nämlich in schlechten Fernsehproduktionen, die für echte Musikrechte kein Geld haben und darum schnell irgendjemandem ein Mikrofon in die Hand geben.

Ich habe wirklich nicht verstanden, was dieser gänzlich stimm-, ausstrahlungs- und talentlose Fabian vorführte: Eine prollige Berliner-Vorstadt-Interpretation der Hamburger Schule? Tic Tac Toe, reinkarniert in einem einzigen Menschen? Echter Schlager in einem Kostüm, das bärtige Musik-Großmogule für irgendeine Art von Berliner Szene halten? Mich schüttelte es so, dass ich die Hälfte des Bieres auf die weißen Hosen der mit ungefähr siebzehn Kilo Haargel verschönerten Jungspuntgäste verschüttete und dankbar beim Stück „Geh!“ aus dem Bums marschierte, um meine Begleitung draußen ein paar Mal sauer in die Backen zu kneifen.

Dabei konnte sie auch nichts dafür. Aber wir lassen uns das Singen nicht verbieten und die gute Laune schon gar nicht, und wer weiß, vielleicht war das Fabian-Konzert ja sogar noch besser als der überschätzte Robbie Williams, mit dem man bestimmt mal hervorragend einen trinken gehen konnte und danach säckeweise Sprüche klopfen. Nur musikalisch hab ich seine Position nie richtig einschätzen können: Auch Robbie selber hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich eigentlich nicht für Musik interessiert und demzufolge alles singt, was man ihm gibt, ob es nun zufällig mal ein gutes Stück, ein Swing-Klassiker oder überflüssiger Schmachtbrei ist.

Meine Begleitung und ich wanderten also die schummerige Frankfurter Allee hoch bis zum nächsten beleuchteten Bareingang, setzten uns in ein mit dicken Holztischen und einer im Weg herumhängenden Leinwand mit Anime-Filmen drauf wirklich sehr eigenwillig eingerichtetes Etablissement und riefen nach Schnaps. Dass im Hintergrund Techno-Versionen zehn Jahre alter deutscher Pophits liefen, machte es auch nicht besser, vertrieb aber immerhin die Fabian’schen Weisen aus der Birne. Vielleicht ist die Welt unterhalb des Frankfurter Tors einfach noch nicht ausreichend erschlossen. JENNI ZYLKA