piwik no script img

BEIM FLOHMARKT DER STAATSBIBLIOTHEK GEHT ES NICHT UNEINGESCHRÄNKT VORWEIHNACHTLICH ZUBillig-Leser

ROGER REPPLINGER

Wenn du an den Klos vorbeikommst, riecht’s nach Urin. Dann bist du im Lichthof der Staatsbibliothek. Da ist heute Bücherflohmarkt, immer an einem Tag in der ersten Dezemberwoche verkloppt die Stabi einen Teil ihrer Bücher. „Ich hab eines verloren“, sagt ein Mann und guckt herum. Hat keine Chance es wieder zu finden: Hier stehen, liegen hunderte Bücher. Ich hab mir zwei Fotobände von Volker Hinz geschnappt und sie, unhandliches Format, auf die Ecke der kleinen Bühne gelegt, auf der das Schild „reserviert“ steht. Sind für Ulrike, die hat am Freitag Geburtstag. Fotografiert viel, die Ulrike.

Und dann systematisch: Es geht mit Lexika und Werkausgaben los. Lexika in Print sind vor allem was für Leute, die alte Worterklärungen suchen. Oder kein Internet haben. Ich hab mal den gesammelten Heine hier gekauft, den gesammelten Hemingway nicht. Erstes war richtig, zweites falsch.

Die „Belletristik“ lass ich heute weg und fange gleich bei den „Sachbüchern“ an: „Trockenblumen“ und „Unsterblichkeit“ und „Emanzipation“ und „Ehe“. Es wird viel vom neoliberalen Quatsch entsorgt, den die Ökonomen jahrelang angerührt haben. Ganze Reihen, blaue Dinger. Als ich Soziologie studiert habe, hießen die Bände der Marx-Ausgabe des Dietz-Verlags „Blaue Mauritius“.

Plötzlich stinkt’s wieder, und ich frage mich, ob ich das bin. Die Konzentration, die notwendig ist, um an Hand von Autorennamen und Titeln in kürzester Zeit zu entscheiden, ob ein Buch in Frage kommt, ist weg.

Ich geh nach den beiden Hinz-Bänden gucken. Auch weg. Schweinerei. Ich frage eine der Frauen an der Kasse, ob sie die beiden Bände wieder einsortiert hat. „Wir rühren die Bücher nicht an“, sagt sie entrüstet. Faule, aber clevere Methode: andere suchen lassen und dann die Sachen abgreifen.

Manche niesen, das ist der Staub. Es wird gemurmelt, einer liest sich vor, ein anderer spricht mit sich über ein Buch. Dass es im Deutschen Ausdrücke wie „Leseratte“ und „Bücherwurm“ gibt, zeigt, wie groß die Distanz bestimmter Kreise zur Bildung ist. Und wie groß die Distanz gehalten werden soll. Als ich Robert W. Kempners „Ankläger einer Epoche“ entdecke, macht es „Ey!“ aus mir heraus.

Die alten Hasen wissen, dass ab 18 Uhr, wenn nur noch eine Stunde bleibt, die eh schon billigen Bücher die Hälfte kosten. Ich geh an die Kasse. Etwas vor mir eine junge Frau, der 30 Cent fehlen, der Mann, der nach ihr in der Reihe steht, gibt ihr 40. Der Typ, der mit sich selbst über die Bücher gesprochen hat, hat kein einziges gekauft. Aber wie er die Brille zwischen zwei Fingern dreht, ist ziemlich professoral.

Sackweise tragen die Leute Bücher davon. „Was nicht weg geht“, sagt eine Bibliothekarin, „kommt nächstes Jahr wieder.“ Ich hab so zehn, zwölf, alles Nazikram, geht gut in den Rucksack. Durchs Haus zum Ausgang. Studentinnen quietschen. Es hat geschneit. Und was schenk ich Ulrike? Ah – ich weiß.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen