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Rot-Grün-Rot!

Koalition Berlin wählt am Sonntag ein neues Abgeordnetenhaus – und vermutlich läuft es auf Rot-Grün-Rot hinaus. Was wird das? Eine ganz normale Koalition, ein Zweckbündnis auf Zeit – oder übernimmt mit der „strukturellen linken Mehrheit“ ein neuer Zeitgeist die Macht? Anders gefragt: Gibt es ein rot-grün-rotes Projekt? Zwei Plädoyers

Schon am Abend vor der Wahl lädt die Satirepartei Die Partei ab 18 Uhr ins SO36 (Oranienstraße 190) zu Musik und Comedians ein. "Triumph des Wählens" heißt die Chose am Samstag, mit der man allen Wählern "Honig ums Maul schmieren" will.

Jenseits parteilicher Vorlieben muss niemand den Wahlabend vorm Fernsehen verbringen. Unter dem Titel "Du bist nicht allein" lädt der Südblock (Admiralstraße 1–2) am Wahlsonntag ab 17 Uhr zur Wahlabend-Gala in Zusammenarbeit mit der NGBK ein. Versprochen wird neben Ergebnissen und Analysen ein "minimalistisches Unterhaltungs- und Musikprogramm". (heg)

Es braucht eine Vision

von Bert Schulz

Vielleicht werden die Linken in Berlin der AfD irgendwann sogar ein bisschen dankbar sein: Deren derzeitiger Erfolg – im Wesentlichen aufgebaut auf ProtestwählerInnen – macht Zwei-Parteien-Koalitionen nach Landtagswahlen meist unmöglich. Sehr wahrscheinlich am Sonntag auch in Berlin: Nach aktuellen Umfragen hätte weder ein Bündnis aus SPD und CDU noch eines aus SPD und Grünen beziehungsweise Linkspartei eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Weil die CDU von SPD und Grünen im Wahlkampf geradezu geächtet wurde, bleibt einzig und allein eine Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei. Was für ein Glück!

Diese Dreierkombo wird Berlin verändern und gestalten, voranbringen und prägen können in einer Weise, die man vielleicht einmal historisch nennen wird. Doch um Erfolg zu haben, muss sie mehr sein als ein pragmatischer Zusammenschluss dreier Parteien. SPD, Linke und Grüne brauchen eine gemeinsame Idee von der Zukunft dieser Stadt, die sie gegen eine harte konservative Opposition aus CDU und AfD durchsetzen müssen. Rot-Grün-Rot entsteht zwar aus der Not. Aber die Koalition kann nur erfolgreich sein als Projekt.

Und die Voraussetzungen dafür sind geradezu ideal.

Zum einen, weil es der Stadt in vielerlei Hinsicht gar nicht schlechter gehen könnte. Die Verwaltung ist teilweise zusammengebrochen, jede Baustelle ist ein unberechenbares Risiko, die Straßen sind gedrängt voll, Wohnungen auf dem freien Markt fast nicht mehr zu bekommen. Vor allem: Mit alldem scheinen sich die meisten BerlinerInnen und auch ihre PolitikerInnen schon abgefunden zu haben. Chaos als Normalität.

Es kann also fast nur noch besser werden. Selbst der BER könnte in der nächsten Legislaturperiode eröffnen.

Es ist Geld da!

Die noch bessere Nachricht: Es ist sogar Geld da. Die Kassen von Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) sind – allen verbliebenen Milliarden-Schulden zum Trotz – so gut gefüllt, dass der Senat investieren kann, ja aufgrund steigender Bevölkerungszahlen sogar muss. Es darf also gestaltet werden. Rot-Rot zwischen 2002 und 2011 – die letzte Regierung, der das Label links anhing – musste vor allem sparen. Da macht Politik keinen Spaß, außer jenen, die masochistisch veranlagt sind.

Auch in der kommenden Legislatur wird nicht alles lustig werden. Aber sollte Finanzsenator Kollatz-Ahnen im Amt bleiben, wäre das ein Garant für eine progressive Politik. Viele weitere GarantInnen könnten SenatorIn werden: zum Beispiel eine grüne Verkehrssenatorin, die Tausende Kilometer Radwege einweihen darf. Dazu einen linken Sozialsenator, der das Thema Kinderarmut ernst nimmt. Plus eine grüne Bildungssenatorin, die sich nicht auch noch um Wissenschaft kümmern muss, sondern allein auf die baufälligen Schulen konzentrieren kann.

Natürlich bleibt ein Regierender Bürgermeister Michael Müller der Regierende Tempelhofer Autofan Müller, der er bisher schon war. Aber der 51-Jährige betont seit Monaten, wie unerträglich die Atmosphäre bei der Zusammenarbeit mit der CDU war: Vielleicht wird er künftig ja ein bisschen entspannter. Seine vielen Wohnungen bauen lassen darf er ja weiterhin.

Und Müller weiß: Berlin ist eigentlich eine linke Stadt, früher unter einer starken, lange alleinregierenden SPD. Inzwischen werden die linken Flügel nur von anderen Parteien repräsentiert. Sie wieder zusammen zu führen in einer gemeinsamen Regierung, ist ein starke, eine lohnende Aufgabe.

Auch den Juniorpartnern ist daran gelegen. Die Grünen lechzen schon lange nach der Macht, vielleicht ein bisschen zu viel. Die Ex-Alternativen, die in Berlin trotz ihrer Stärke bisher kaum regiert haben, wollen, ja müssen beweisen, dass sie jenseits von Friedrichshain-Kreuzberg Politik machen können.

Der linke Dreier wäre die Fortsetzung des rot-roten Projekts ab 2002: Klaus Wowereit hat jene Koalition auch und gerne damit begründet, die politisch nach wie vor geteilte Stadt einen zu wollen.

Doch die Linke hat danach viel gutzumachen: Sie galt wegen ihrer Regierungsbeteiligung als brave Abnickerpartei, mitverantwortlich unter anderem für den Verkauf von landeseigenen Wohnungen. Auch sie wird nun zeigen müssen, dass sie links nicht nur im Namen trägt.

Ziel muss sein, die gesellschaftlichen Entwicklungen in Berlin endlich auch auf politischer Ebene widerzuspiegeln: den Dialog zwischen vielen Kulturen und Religionen, Liberalität, das veränderte Mobilitätsverhalten, die Offenheit für neue Ideen.

Einfach ganz banal regieren

von Stefan Alberti

Rot-Grün-Rot nicht allein als künftige Regierung, sondern als Projekt? Bitte nicht! Denn das wäre genau der Weg, der Ber­lin tei­len würde. Nicht in Ost und West oder oben und unten. Aber in ten­den­zi­ell in der In­nen­stadt be­hei­ma­te­te Men­schen, für die sich Le­bens­ge­stal­tung in Pro­jek­ten aus­drückt. Und die ten­den­zi­ell au­ßer­halb des S-Bahn-Rings Le­ben­den, die es gern all­täg­li­cher und we­ni­ger kopf­las­tig haben. Die wie einst Helmut Schmidt meinen: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.

Oder wie es SPD-Spitzenkandidat Micha­el Mül­ler bei einer öffentlichen Dis­kus­si­on im taz Café aus­drück­te: Men­schen, denen es vor­ran­gig um eine gute Ent­wick­lung ihrer Kin­der geht, um die Woh­nungs­ver­schö­ne­rung und die Vor­freu­de auf einen Ur­laub oder viel­leicht sogar zwei. Men­schen, die es nicht ver­dient haben, von an­de­ren als lang­wei­lig be­zeich­net zu wer­den, nur weil sie nicht jeden Abend mit dem Bier in der Hand am über­vol­len Ka­nal- oder Spreeu­fer sit­zen, son­dern ent­spannt auf dem Bal­kon.

„Pro­jekt“ klingt nach einem Begriff der in­tel­lek­tu­el­len In­nen­stadt-Boheme. Nach einem, der sich be­wusst ab­hebt, der den großen Wurf will. Um bei Mül­ler zu blei­ben: Viele Men­schen in die­ser Stadt könnten gar kei­nen gro­ßen Wurf wollen. Sondern bloß einen funktionierenden Alltag – was sicherzustellen schwer genug ist. Sie wollen ganz kon­kret, dass S- und U-Bahn – sowieso alles andere als schlecht unterwegs – noch pünktlicher fahren, sie wollen saubere Schulen, Straßen und Spielplätze. Und wenn sie sozial denken, dann wollen sie auch, dass ihre wenig verdienende Nachbarin für die Hortbetreuung ihres Sohnes nichts zahlen muss.

Sie wollen gut arbeitende Behörden. Sie wol­len auch im Dun­keln aus der S-Bahn stei­gen kön­nen, ohne ein ko­mi­sches Ge­fühl im Bauch zu haben. Und viel­leicht re­gio­na­len Öko-Strom von den lan­des­ei­ge­nen Stadt­wer­ken haben, was die CDU in grö­ße­rem Stil blo­ckier­te.

Ja, auch diese Men­schen wol­len mit­re­den, wenn in ihrer Nach­bar­schaft ein Groß­bau ent­ste­hen soll. Aber das tun sie auch schon jetzt, da braucht es kein Projekt „Mehr Demokratie“. In kei­ner Wahl­pe­ri­ode starteten so viele Volks­be­geh­ren wie in der jetzt zu Ende ge­hen­den. Klar, könn­te man sagen, war ja auch gegen Rot-Schwarz.

Doch schaut man genau hin, so rich­te­te sich der größ­te Pro­test gegen die Po­li­tik des Man­nes, der ein rot-grü­n-rotes Pro­jekt zu­min­dest for­mal lei­ten müss­te: Micha­el Mül­ler war der Mann, der als Stadt­ent­wick­lungs­se­na­tor den Rand des Tem­pel­ho­fer Felds be­bau­en woll­te. Er be­hielt auch als Re­gie­ren­der Bür­ger­meis­ter sein altes Res­sort im Blick und war damit Ziel­schei­be des vom Kott­bu­ss­er Tor aus­ge­hen­den Pro­tests gegen die Miet­preis­ent­wick­lung.

Das Problem mit dem Projekt ist zudem, dass davon so viele Leute reden, die das eher verlotterte Berlin toll finden – vielleicht, weil sie noch keine abgeranzte Turn- oder Schwimmhalle von innen gesehen haben. Jenseits kon­kre­ter Zah­len fällt dabei dann immer mal wieder der Satz, dass die vielen Touristen nach Ber­lin „wegen des Un­fer­ti­gen“ kämen. Gleich­falls bar jeder Zah­len sei dem die Be­haup­tung ent­ge­genge­hal­ten: Sie kom­men wie eh und je wegen der Mu­se­ums­in­sel, des Bran­den­bur­ger Tors, der Reichs­tags­kup­pel und einer Spree-Rund­fahrt.

Rot-Grün-Rot kann einen guten Job ma­chen, weil es in allen drei Parteien gute Ak­teu­re hat – aber eben nicht als ab­ge­ho­be­nes intellektuelles Pro­jekt, son­dern als kon­kre­te Po­li­tik, die auch die weniger links-alternativen Stadtviertel nicht vergisst. Grü­nen-Frak­ti­ons­che­fin Antje Kapek hat das immerhin im taz-Interview jüngst zugesagt: „In dem Mo­ment, in dem ich in eine Re­gie­rung gehe, muss ich die ganze Stadt re­prä­sen­tie­ren.“

Und wie sagte Mül­ler jüngst bei der rbb-Spitzenkan­di­da­ten­run­de? Es sei nicht alles schlecht ge­we­sen in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren, also mit den nicht ganz so projektaffinen Christdemokraten. Was eher fi­­­s­hing for com­pli­ments war: Selbst mit einer Henkel-CDU konnte Mül­ler sämt­li­che auf Lan­des­ebe­ne vorhandenen Hebel um­le­gen, um hö­he­ren Mie­ten und Zweck­ent­frem­dung ent­ge­genzuwir­ken. Und ra­di­ka­le­re Ein­grif­fe ins Miet­recht, sowieso nur im Bundestag möglich, lehn­te er bei der taz ab: Auch Ver­mie­ter und Ei­gen­tü­mer hät­ten Rech­te.

Mül­ler wird nicht den Kopf für eine in der Dreierko­ali­ti­on 2:1 be­schlos­se­ne Linie hin­hal­ten, die nicht seine ist. Set­zen Grü­nen und Linke zu sehr auf wie auch immer ge­ar­te­te Pro­jekt­e ab­seits von ihnen viel­leicht zu ba­na­len All­tags­fra­gen, wird der be­ken­nen­de Tem­pel­ho­fer Mül­ler da nicht mit­ma­chen.