„Kein Kadavergehorsam“

Christian Lindner, Generalsekretär der nordrhein-westfälischen FDP, geht auf Konfrontation zu CDU-SPD im Bund. Er droht damit, dass NRW sich bei wichtigen Entscheidungen im Bundesrat enthält

taz: Herr Lindner, Schwarz-Rot startet in Berlin, wenn interessiert jetzt noch die CDU-FDP-Koalition in Düsseldorf?Christian Lindner: Wir kriegen jetzt erst recht Aufmerksamkeit. In NRW gibt es eine bundesweit einmalige Reformkonstellation. Wir werden uns verstärkt vergleichen lassen müssen und können. Wir sind das Gegenmodell zu der großen Koalition der ungenutzten Möglichkeiten im Bund.

Da trauen sie ihrem Koalitionspartner CDU aber wenig zu.

Nein, wieso? Der zwischen Merz und Seehofer unentschiedenen Union in Berlin fehlt der ordnungspolitische Kompass. Sie muss stattdessen mit einer SPD regieren, die ihren Wahlkampf links der Agenda 2010 geführt hat. All die marktwirtschaftlich drängenden Reformen wird es mit denen nicht geben.

CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gehört genau zum Sozialflügel der CDU, den sie gerade kritisieren.

Das ist ja der spannende Unterschied zu Düsseldorf – hier regiert eine CDU, sie sich ihrer katholischen Wurzeln noch bewusst ist mit einer FDP, die für den Tanker Union Lotse bei der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft ist.

Wieso sind die CDUler von Rüttgers Schlag hier spannend und in Berlin eine Katastrophe?

In Berlin können sich die Sozialdemokraten in SPD und CDU gegen progressive Kräfte in ihren Parteien verbünden. In NRW gibt es eine andere Balance, weil die FDP mit am Tisch sitzt.

Rüttgers fordert jetzt eine Rentenerhöhung, die die FDP bekämpft. Hatten sie Rüttgers doch nicht unter Kontrolle?

Wir wollen über eine Neugründung der sozialen Sicherungssysteme insgesamt diskutieren. Eine unsystematische Erhöhungsdebatte hilft uns dabei nicht. Bislang war die Entwicklung des Lohnes für die Anpassung der Renten entscheidend. Renten nach Kassenlage kann niemand wollen.

Also doch ein Faux-Pas vom Koalitionspartner?

Ich verstehe Rüttgers Idee nicht als konkreten Vorschlag.

Sie wollen im Bundesrat nicht Steigbügelhalter sein.

Wir müssen uns an der Sache orientieren. Deshalb darf es auch für die Union keinen parteipolitischen Kadavergehorsam im Bundesrat geben.

Rüttgers wird für seine Partei im Bund stimmen wollen.

Was die Koalition gemeinsam für richtig hält, ist im Koalitionsvertrag fixiert. Freilich gibt es erhebliche Unterschiede zur Politik der großen Koalition. Deshalb gehe ich im Gegenteil davon aus, dass wir unsere alternativen Konzepte in Bundesrat zur Abstimmung stellen werden.

Bei welchen Themen werden sie gegen Schwarz-Rot im Bund stimmen?

Da gibt es viele Konfliktpunkte – zum Beispiel in der Steuerpolitik, beim Hochschulrecht. Für NRW werden die Steinkohlesubventionen ein wichtiges Thema sein, da widerspricht die SPD klar unseren Auffassungen.

Sie geben der großen Koalition höchstens zwei Jahre. Was kommt danach?

Neuwahlen. Oder die SPD wird neue Sympathien für die PDS entwickeln.

Also wieder nichts für die FDP übrig.

Wir werden unsere Position im Parteiensystem auch neu zu ordnen haben, zum Beispiel unser Verhältnis zu den Grünen.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES