WENN SIE NEBENAN, BEIM MOBILEN ANGEBOT DES JOBCENTERS VORDINGBORG, DOCH SCHLANGE STEHEN – WARUM KOMMT KAUM WER ZUR NACHMITTÄGLICHEN „AFTER SCHOOL“ FÜR FLÜCHTLINGE?
: Die Retter des Bürogebäudes

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von REBECCA CLARE SANGER

In meiner neuen Klasse in Roskilde – ‚Dänisch auf Universitätsniveau‘ – gibt es keinen einzigen Syrer“, erzähle ich der Koordinatorin für die freiwilligen Helfer, die in meiner alten Schule einen „After-School“ Dienst anbieten: von eins bis halb vier, im Flur des hässlichen 70er-Jahre-Bürogebäudes, das ohne die Flüchtlingskrise wohl abgerissen worden wäre.

In vage gehaltener Zielsetzung besteht das Angebot wesentlich aus Freiwillig engagierten, echten Dänen, die dir bei den Schularbeiten helfen, ein offenes Ohr haben für deine Probleme, dir auch mal einen Brief übersetzen, den du nicht verstanden hast, oder einfach mal einen Kaffee mit dir trinken. Von Anfang an haben die Projektorganisatoren von der dänischen Flüchtlingshilfe klar gesagt, dass wir bloß nicht irgendwie ins Unterrichten geraten sollen. Und Flüchtlingen mit manchen Anliegen lieber einen Rechtsanwalt empfehlen sollen, mit anderen einen Psychologen. Und die Schulleiterin wartet immer noch darauf, dass ihr ein Kaffeeautomat bewilligt wird.

„Nur Europäer“, fahre ich fort, „aus Portugal, Litauen, Holland, England, eine Kroatin, eine Ungarin und viele Polinnen.“ – „Na“, sagt die Koordinatorin, meine ehemalige Lehrerin, „dann sind die da wohl noch nicht angekommen.“ Das sind sie beim „After-School“-Angebot auch nicht: Eine Somalierin lässt sich ein bisschen die Hausaufgaben erklären. Eine Frau aus dem Iran auch. Nach einer halben Stunde sind wir sechs Freiwilligen wieder allein.

„Was glaubst du, was wir hier falsch machen?“, fragt mich meine ehemalige Lehrerin. Denn nebenan, bei der mobilen Sprechstunde des Integrations- und Jobcenterteams Vordingborg Kommune, stehen sich die Leute die Hacken schief. „Ja, hier ist nicht so viel los“, sagt einer der Freiwilligen jovial. „Den alten Mann da drüben musste ich wieder wegschicken, ich weiß doch auch nicht, wie er zu seiner Familie in der Türkei zurückkehren kann. Und bei all dem anderen, dem finanziellen Kram, schlackern mir die Ohren. Da blickt man als normaler Mensch nicht durch.“ Ha ha.

Der ehemalige Offizier und Hobbyhistoriker lässt sich die Laune nicht verderben und präsentiert uns die drei arabischen Worte, die er aufgeschnappt hat, damals auf der Militärakademie. Er hat für die nächsten fünf Wochen schon mal Dienstbereitschaft eingetragen, bei Doodle. „Ich glaube ja an Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt meine ehemalige Lehrerin und schaut erwartungsvoll auf den nun leeren Platz, auf dem zuvor die Somalierin gesessen hatte. „Sie erzählt ihren Freundinnen, was für eine große Hilfe sie hier bekommen hat, und dann erzählen die das weiter.“

In ihrer nächsten Rundmail an die Freiwilligen wiederholt sie ihr Mantra. „Nun haben wir also das erste Treffen in den neuen Räumlichkeiten hinter uns gebracht. Ich denke, mit ein bisschen Mund-zu-Mund-Propaganda wird das schon laufen. Vergesst nicht, euch bei Doodle einzutragen. Im übrigen hat Kirsten von der dänischen Flüchtlingshilfe uns 500 Kronen bewilligt“ – etwa 66 Euro – „für Kaffee und Getränke. Wer will die verwalten?“

Die Kroatin im Fortgeschrittenenfortgeschrittenenkurs auf Universitätsniveau benutzt übrigens Google Translate. „Was ist ‚entwicklungsbeeinträchtigt‘?“, fragte sie neulich, zuvor hatte sie sich mit der schwedischen Sozialpädagogin unterhalten. „Retardiert“ stand da auf Kroatisch. Der Kroatin – selbst Psychiaterin übrigens – gefielen die fehlende Umschweife. Vielleicht also lieber weniger Doodle und ein bisschen mehr Google für die „After School“-Freiwilligen?

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle.