„Ein Advokat der bedrohten Natur“

Als reaktionär werden Heinz Sielmanns Tierfilme oft kritisiert. Zu Unrecht, sagt der Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger. Für ihn sind es Archive des Verschwindens, die bedrohten Arten ein Nachleben sichern

taz: Wodurch wurde Heinz Sielmann so populär?

Vinzenz Hediger: Durch eine Mischung aus Beobachtungsgabe, Beherrschung der filmtechnischen Apparatur und ein Gespür für die Themen der Zeit. In den fünfziger Jahren begann in Deutschland der umweltschützerische Diskurs. Sielmann machte sich damals zum Advokaten einer bedrohten Natur, indem seine Filme meist von Tieren handelten, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohnorten aufhielten. Seine Filme fingen Ängste auf, die mit der raschen baulichen Expansion der Nachkriegszeit zu tun hatten.

Aber bedienen diese Filme nicht vor allem das Klischee einer heilen Natur?

In der Literatur wird das gesamte Genre als reaktionär und konservativ kritisiert, es ist viel von Regression die Rede. Sicher zeigt uns Sielmann eine Welt, die von den ewigen Zyklen der Natur erzählt und mit Geschichte scheinbar nichts zu tun hat. Daneben gibt es aber eine Logik des Tierfilms, die ich mit der Formulierung „Schnell noch einen Film vor dem Aussterben“ bezeichne. Die Tierfilme stellen nicht nur heimelige, lustige Streicheltiere dar, sondern haben auch Archive des Verschwindens hergestellt. Das Bild sichert den bedrohten Tieren ein Nachleben.

Was ist der Unterschied zu aktuellen Tierfilmen, die häufig digital produziert sind?

Als Tierfilmer musste man bisher unendlich viel Zeit haben und warten können, bis etwas wichtiges passiert. Wenn man die Tiere im Computer generiert, sind sie gleich da und tun, was man von ihnen will. Was mich in der letzten Zeit am meisten fasziniert hat, ist die BBC-Miniserie „The Future is wild“. Da wird ein Bild der Tierwelt nach dem Aussterben der Menschheit entworfen. Es handelt sich um eine Radikalisierung der Szenarien der sechziger und siebziger Jahre, in denen der Mensch erstmals als bedrohliches Tier auftritt. In„The Future is wild“ ist der Mensch eine bedrohte Tierart geworden und der Evolution genau so unterworfen wie alle anderen.

Interview: B. Moldenhauer