Berliner Szenen
: Beim Zahnarzt

Spucke-Rücktritt

Dann geht die Folter weiter. Eine Stunde soll sie dauern

„Prima machen Sie es, ganz prima!“, sagt sie, aber ich weiß nicht, was ich prima mache, außer den Mund aufzuhalten und die Augen zuzukneifen, wenn es so doll wehtut – ungefähr jede dritte Sekunde. Prima! Ich versuche zu nicken. Da bemerke ich, dass die Zahnärztin einen Tropfen Blut auf der Stirn hat. Mein Blut.

„Sie sehen aus, wie in einem billigen Horrorfilm“, sage ich ihr, als wir endlich eine Pause machen. „Das ist nichts. Sie sollten meine Hände manchmal sehen“. Oh Gott, was hast du gemacht, müsse sie denken, wenn sie ihre blutigen Handschuhe betrachte. Sie sei kein „Blut-Fan“, sagt sie, nun müsse sie sich daran gewöhnen, jeden Tag mit Blut zu tun zu haben.

Dann geht die Folter weiter. Eine Stunde soll sie dauern, und ich habe freiwillig dafür viel Geld bezahlt. Ich habe mich überzeugen lassen, dass eine professionelle Reinigung wichtig sei, um den Zahnstein zu entfernen – oder heißt es Sandstein? Mondstein?, frage ich mich beinahe im Delirium.

Solche Schmerzen finde ich unerträglich. Vielleicht bin ich einfach zu empfindlich? Nein, das sei ich nicht, meint die Zahnärztin. Ich würde es schon ganz gut aushalten, sagt sie. „Nur die Spucke ist vor lauter Schrecken zurückgetreten“, sagt sie, und wir müssen unterbrechen, damit ich lachen kann, ohne verletzt zu werden.

„Ich poliere jetzt, und gleich haben Sie das geschafft“, sagt sie. Sie redet mit mir, als wäre ich eine alte schwerhörige Dame oder ein kleines Kind. Ich erinnere mich deshalb daran, was ich als Kind machte, um mich abzulenken, und versuche es nach mehr als 30 Jahren wieder.

Ich schaue durchs Fenster in der Rosenthaler Straße und konzentriere mich: Blau, sage ich mir selbst. Als Nächstes kommt ein blaues Auto. Blau wie …, wie die Zahnpaste mit Fluor, wie der Mundschutz der Zahnärztin.

Luciana Ferrando