Fiktion ohne Netz

Poetische Gerechtigkeit oder Die Konstruktion von Wirklichkeit durch Kunst und Wissenschaft:Der irische Autor John Banville bekommt für seinen Roman „The Sea“ den Booker-Preis

von SEBASTIAN DOMSCH

Es war ein starkes Feld, das sich in diesem Jahr zum Endspurt auf den Booker-Preis aufmachte. Nachdem mit Ian McEwan, J. M. Coetzee und Salman Rushdie bereits hoch gehandelte Kandidaten aus dem Rennen waren, blieben neben Shootingstars wie Zadie Smith noch zwei Big-Shots im Rennen: Kazuo Ishiguro und Julian Barnes. Dass sich am Ende der 1945 geborene irische Autor John Banville mit seinem Roman „The Sea“ offenbar in einem Foto-Finish gegen Ishiguro durchsetzte, war zwar nicht erwartet worden, überrascht aber auch nicht.

Sein Sieg mag wie ein Ausdruck poetischer Gerechtigkeit erscheinen. Bereits 1989 war er mit „Das Buch der Beweise“ in der Endausscheidung mit dabei, verlor aber gegen Ishiguros „Was vom Tage übrigbleibt“. Doch der Booker-Preis ist kein Trostpreis. Banville hat ihn sich durch sein literarisches Schaffen wohl verdient, wenn auch erste kritische Stimmen in England die Auszeichnung eher für sein „lifetime achievement“ sehen wollen als für seinen jüngsten Roman.

Bereits seit 1970 hat Banville in fast zwanzig Büchern auf stets neue, aber immer sorgfältig und intelligent geformte Weise seine zentralen Themen umkreist: Identität und die Unsicherheit von Wahrheit und Wissen. Nicht selten nutzte er dafür die Gebiete der Kunst wie in „Das Buch der Beweise“ oder „Athena“ sowie der Wissenschaft. Letzterer hat er eine Tetralogie gewidmet, bestehend aus „Doktor Kopernikus“, „Kepler“, „Newtons Brief“ und „Mefisto“.

Banvilles Romane bereiten ein trügerisches Lesevergnügen. Unterhaltsam geschrieben, mit Krimi-und Historischer-Roman-Anleihen, ziehen sie dem Leser in dem Augenblick, in dem er sich ganz auf die fiktionale Welt eingelassen hat, den Boden weg.

Banville misstraut dem einzigen Material, das ihm als Schriftsteller zur Verfügung steht, der Sprache. Auch die Form, die ein Künstler seinem Kunstwerk gibt, ist für ihn nur ein Täuschungsmanöver, das Wahrheit und Stabilität lediglich suggeriert. So wird sein Buch über den Astronomen Johannes Kepler durch die Zahl Fünf strukturiert, entsprechend den fünf Hauptwerken Keplers sowie seiner Entdeckung, dass die Entfernungen zwischen den damals bekannten fünf Planeten genau den Verhältnissen der fünf Platonischen Körper entsprechen. Diese „Weltharmonik“, wie es bei Kepler heißt, und die sich in das literarische Werk hinein fortsetzt, ist jedoch paradox, da Keplers Entdeckung falsch war.

Banville beschreibt die Konstruktion von Wirklichkeit durch Kunst und Wissenschaft als einen offenen Prozess, den abzuschließen immer schon eine Verfälschung bedeutet, da das die Behauptung von Eindeutigkeit fordert. Vor dieser Eindeutigkeit scheitert auch der Erzähler von „Newtons Brief“, der nach sieben Jahren Arbeit seine Biografie über Isaac Newton nicht zu Ende zu bringen vermag.

In letzter Zeit hat Banville sich intensiv mit der Problematik persönlicher Vergangenheit und Erinnerung beschäftigt. Nachdem er in „Caliban“ den Skandal um den Literaturtheoretiker Paul DeMan fiktionalisierte, geht es in seinem nun preisgekrönten Roman „The Sea“ um einen Mann namens Max Morden. Dieser kehrt nach einem persönlichen Verlust auf der Flucht vor dem Alter an die Stätten seiner Jugend zurück, um Erlebnisse aufzuarbeiten, die sein ganzes weiteres Leben geprägt haben, eine für die Jury „meisterhafte Studie über Trauer und erinnerte Liebe“.