Chinas Bauern fordern ihr Recht

Der beispielhafte Machtkampf in einem südchinesischen Dorf zeigt den Versuch von Bauern, mit demokratischen Mitteln die Entlassung korrupter Kader durchzusetzen

PEKING taz ■ Ein kleines Dorf im Einzugsgebiet der südlichen Metropole Guangzhou ist in den letzten Wochen ins Zentrum einer landesweiten Debatte über mehr demokratische Mitbestimmung in China gerückt. Taishi nennt sich der 2.075 Einwohner zählende Flecken im Bezirk Panyu, der inzwischen landesweit Schlagzeilen machte. 584 Bauern des Dorfes hatten es gewagt, in einem Antrag die Absetzung ihres mutmaßlich korrupten kommunistischen Bürgermeisters zu fordern. Nach Artikel 16 des Gesetzes über die Wahl von Dorfbürgermeistern kann ein solcher abberufen werden, wenn ein Fünftel der Wahlberechtigten das verlangen. Doch so weit kam es in Taishi nicht.

Ende September erklärten die Behörden den Antrag für ungültig. Nach einem Bericht der offiziellen Panyuer Tageszeitung hatten 396 der 584 Bauern ihre Unterschrift zurückgezogen. Nachfragen, warum sie ihre Meinung geändert hatten, waren nicht gestattet. Am 30. September verhängten Pekings Propagandabehörden ein landesweitesPublikationsverbot über die Ereignisse in Taishi – und weckten damit das Interesse der internationalen Presse. Ein Korrespondent des britischen Guardian begleitete daraufhin den Demokratieaktivisten Lu Banglie nach Taishi. Der Journalist musste dabeimit ansehen, wie Lu von zivilen Sicherheitskräften verprügelt wurde. Der anschließende Bericht des Guardian, wonach Lu „ein Auge heraushing, ein Strom von Blut aus seinem Mund floss“ und sein Tod zu befürchten war, bestätigte sich jedoch nicht. Lu war zwei Tage später wieder fit und mit Freunden unterwegs.

Er war jedoch nicht das erste Opfer der Sicherheitsschergen in Taishi. Bereits am 4. September hatte die Frauenforscherin Ai Xiaoming das Dorf besucht. Die Professorin der Sun Yat-sen-Universität in Guangzhou genießt nationales Ansehen, seit sie vor zwei Jahren dem Tod eines Wanderarbeiters in der Untersuchungshaft nachspürte und landesweit ins Gespräch brachte. Ihre Bemühungen führten zur Aufhebung von Regelungen, die es der Polizei erlaubten, Wanderarbeiter ohne Aufenthaltserlaubnis festzunehmen und in ihre Heimatprovinz zurückzuschicken.

Auch in Taishi gelang es der Professorin wieder, das landesweite Interesse zu wecken. Sie wurde ebenfalls verprügelt, wandte sich aber in einem offenen Brief an Premierminister Wen Jiabao. Pekings führendes Wirtschaftsmagazin Caijing berichtete ausführlich. Chinesische Beobachter sehen in dem Dorfkonflikt deshalb weniger einen Kampf der Bauern gegen das System als den Versuch der Betroffenen, Unterstützung von Medien und der Partei in Peking zu erhalten, um korrupte lokale Beamte zu entfernen.

Peking gibt den Bauern zumindest ideologisch Rückendeckung. Das gestern zu Ende gegangene Plenum des KP-Zentralkomitees sieht die Hauptaufgaben im neuen Fünf-Jahres-Plan in der Bekämpfung der Korruption und des zunehmenden Einkommensgefälles zwischen Arm und Reich. Die Regierung räumt zudem ein, dass 2004 landesweit 3,6 Millionen Bürger an 74.000 „Massen-Zwischenfällen“ teilnahmen. GEORG BLUME