Impfungen zuerst für Polizisten

Heute tagt der Nationale Krisenstab, um Maßnahmen gegen die offenbar nahende Vogelgrippe zu beraten. Aber wie gefährlich ist der Virus für uns?

Befürchtet wird hierzulande, dass sich H5N1 mit einem „normalen“ Grippevirus vermischt und so für Menschen hochinfektiös wird

VON WOLFGANG LÖHR

Die Regierung ist auf den schlimmsten Fall vorbereitet. Das erklärt der derzeit amtierende Verbraucherminister Jürgen Trittin (Grüne). Die Lage ist offenbar ernst: Noch heute wird der Nationale Krisenstab von Bund und Ländern zusammenkommen, um zu beraten, ob und welche Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der Vogelgrippe ergriffen werden müssen. Sollte sich herausstellen, dass für die aus Rumänien und der Türkei gemeldeten Infektionen der gefährliche Virustyp H5N1 verantwortlich ist, „würden sofort die nationalen Notfallpläne greifen“, so Trittin.

Auch Brüssel ist alarmiert: Parallel zu der vom Verbraucherministerium einberufenen Krisensitzung werden sich heute dort auch Vertreter der EU-Mitgliedstaaten treffen, die ebenfalls Maßnahmen zur Eindämmung der gefürchteten Geflügelkrankheit beraten wollen. Die EU-Kommission war schon unmittelbar nach den ersten Meldungen über das Auftauchen der Vogelgrippe in Rumänien und kurz darauf in der Türkei aktiv geworden. Am Montagabend wurde das bis dahin schon geltende Importverbot für Geflügel und Geflügelprodukte aus der Türkei noch erweitert. Verboten ist jetzt auch die Einfuhr von unbehandelten Federn. Bevor auch ein Importverbot gegen Rumänien verhängt werden soll, wollte die EU-Kommission jedoch noch die Bestätigung abwarten, ob für das Geflügelsterben dort auch tatsächlich der hochgefährliche Erreger der Vogelgrippe verantwortlich ist.

Hier in Deutschland gibt es in einigen Ländern seit einigen Wochen ein Verbot für die Freilandhaltung von Geflügel. Das Berliner Verbraucherministerium sieht derzeit aber noch keine Veranlassung dafür. Denn bisher ist weder in der Türkei noch in Rumänien klar, ob dort der gefährliche Virustyp H5N1 grassiert.

Obwohl die Krisenstäbe in Alarmbereitschaft stehen, warnen Politiker vor Überreaktionen. Denn neben dem hoch ansteckenden H5N1-Erreger, der seit Ende 2003 in mehreren südostasiatischen Ländern haust, gibt es noch zahlreiche andere Typen der Vogelgrippe, die bei weitem nicht so gefährlich sind. So sind in den letzten Jahren wiederholt Ausbrüche der Vogelgrippe in mehreren Staaten gemeldet worden, die durch Quarantänemaßnahmen und dem vorsorglichen Töten von Geflügelbeständen wieder eingedämmt wurden.

Allerdings kann auch bei den nicht krankheitserregenden Virustypen der wirtschaftliche Schaden für die Geflügelwirtschaft beträchtlich sein. So mussten in den Niederlanden vor sechs Jahren rund 30 Millionen Tiere getötet werden. Aber das Risiko für Menschen wird bisher als gering eingeschätzt. Zwar starb seinerzeit in den Niederlanden auch ein Tierarzt an der Vogelgrippe, eine Übertragung vom Tier auf den Menschen ist jedoch relativ selten und passiert nur, wenn ein enger Kontakt mit infizierten Tieren besteht.

Für Menschen ist auch der Virustyp H5N1 derzeit noch nicht gefährlich. Denn dieser Typ wird ebenfalls nur bei engem Kontakt zu der Infektionsquelle übertragen. In Südostasien sind zwar schon über 60 Menschen an dem Virus gestorben, dort aber grassiert die Seuche schon seit zwei Jahren – und unzählige Tiere sind dort infiziert. Die Menschen dieser Länder leben oft sehr eng mit ihren Tieren zusammen.

Befürchtet wird hierzulande vor allem, dass der H5N1 sich mit einem „normalen“ Grippevirus vermischt und so für Menschen hochinfektiös wird. Es wäre der worst case. Eine weltweite Grippepandemie wäre dann, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), kaum zu verhindern. Mit mehreren Millionen Todesopfer wäre dann zu rechnen.

Die meisten Industriestaaten haben sich für diesen Fall mehr oder weniger vorbereitet. Sie haben auf Vorrat schon Millionen Packungen von antiviralen Mitteln eingelagert. Tamiflu heißt das derzeit heiß begehrte Grippemittel. Es verhindert, dass sich die Viren im Körper vermehren. Eine Infektion kann es zwar nicht verhindern, aber den Verlauf der Krankheit mildern.

In Deutschland sind die Bundesländer für die Bevorratung zuständig. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung könnte mit den eingelagerten Mitteln behandelt werden. Der „Nationale Influenza-Plan“ sieht vor, dass die anzulegenden Vorräte für etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausreichen.

Im Fall einer gefährlichen Grippeepidemie sollen zuerst medizinisches Personal, Polizei und Katastrophenhelfer behandelt werden. Die Hoffnung ist, so eine weitere Ausbreitung zu verhindern – bis ein geeigneter Impfstoff entwickelt wurde.