Auf der Suche nach der Struktur

Neuzugang Spektakel und Unsicherheitsfaktor: Nach dem 2:1-Auftakterfolg gegen Mainz weiß Borussia Dortmund, dass man mit Ousmane Dembélé noch viel Freude und noch viel mehr Arbeit haben wird

Im Schweiße seines Angesichts: der Neu-Dortmunder Ousmane Dembélé Foto: ap

Aus Dortmund Daniel Theweleit

Eigentlich verbindet Thomas Tuchel und Martin Schmidt ein ähnlicher Blick auf die Details im komplexen Chaos des professionellen Fußballs. In Mainz haben die beiden Trainer zusammengearbeitet, Tuchel bei den Profis, Schmidt bei der U23, und wenn sie übereinander sprechen, wählen sie Worte der gegenseitigen Wertschätzung. Entsprechend freundlich klang Schmidts Lob nach der knappen 1:2-Niederlage seiner Mainzer bei Tuchels BVB. Borussia Dortmund sei eine „Angriffsmaschine“, deren Wucht eben nur sehr schwer zu bremsen sei, sagte Schmidt. Tuchel saß daneben, lächelte angesichts der freundlichen Worte, aber sein Widerspruch war deutlich.

Allenfalls ein „Angriffsmaschinchen“ sei sein Team gewesen, und vermutlich meinte er mit dieser Verniedlichung vor allem den spektakulärsten Mann des Tages: Ousmane Dembélé. Denn André Schürrle und Pierre-Emerick Aubameyang hatten aus wenig viel gemacht. Schürrle hatte beide Treffer vorbereitet, sein gabunischer Kollege hatte jeweils getroffen, die Effizienz dieses Duos kann durchaus als maschinenhaft betrachtet werden. Im Mittelpunkt stand aber die erstaunliche Show Dembélés.

Der 19-jährige Neuzugang von Stade Rennes zauberte fünf, sechs Weltklasseaktionen auf den Rasen, die dem Publikum erstaunte „Ahs“ und „Ohs“ entlockte. Meist folgten aber direkt seltsame Ungenauigkeiten, Fehlpässe oder Tempoverschleppungsmaßnahmen. „Wir sind immer noch in der Phase, in der wir uns kennenlernen“, sagte Tuchel, als er auf das unberechenbare Verhalten des Franzosen angesprochen wurde. Aber seine Stimme war plötzlich sanft und aufmunternd.

Zuvor hatte er das Spiel seines Teams als „mühsam“ und „zäh“ bezeichnet, der neue BVB entsteht gerade erst. Und in Dembélé scheint der Pädagoge Tuchel eine besonders schöne Herausforderung zu sehen. Während der Nachspielzeit traf der Mainzer Yoshinori Muto noch zum 2:1, Dembélé hatte die erforderliche Defensivmitarbeit vergessen, und Tuchel identifizierte seinen Schüler umgehend als Hauptschuldigen. Jeder im Stadion konnte das beobachten. Nach dem Abpfiff hielt er Dembélé noch auf dem Platz einen kleinen Vortrag, es ist ein schma­ler Grat zwischen einschüchternder Kritik und größter Wertschätzung, den der BVB-Trainer im Umgang mit dem französischen Juwel beschreitet.

Dembélé selbst durfte nach der Partie nicht sprechen, die Mitarbeiter von der Presseabteilung schirmten den raketenschnellen Stürmer konsequent ab. Das komplexe Feld der Öffentlichkeitsarbeit wollen sie dem von einer Flut neuer Eindrücke und Anforderungen überschütteten Teenager nicht auch noch zumuten. Schließlich mache Dembélé schon fußballerisch „zwei, drei Schritte auf einmal, und die erwarten wir auch von ihm“, erklärte Tuchel. Sein Anspruch sei hoch, „athletisch und mental“, noch ist jedoch ziemlich unklar, ob die Arbeit sich lohnt.

„Diese Unbekümmertheit, die wollen wir schon nutzen“

Thomas Tuchel, BVB-Trainer

Was nämlich bisher komplett fehlt im Spiel des Talents, ist die Effizienz. Oft übersprintete er Mainzer Gegenspieler oder ließ die armen Verteidiger mit perfekt getimten Finten ins Leere grätschen, um die großartige Aktion dann mit einen erschreckend ungenauen Anschlusspass zu entwerten. „Wir müssen schauen, dass wir diese vielen Dribblings in eine Struktur einbetten“, sagte Tuchel.

Keinesfalls will der Trainer Dembélé in diesem Prozess die auf dem Fußballplatz oftmals kostbare Neigung zum Draufgängertum nehmen. „Diese Jugendlichkeit, diese Unbekümmertheit, das ist schon etwas, was wir nutzen wollen“, sagte Tuchel, der mit Schürrle nun einen Lieblingsschüler aus A-Jugendzeiten trainiert, mit Julian Weigl seine Entdeckung der Vorsaison und mit Dembélé einen neuen, besonders großen Rohdiamanten, der zurechtgeschliffen werden muss. Und von dem noch niemand weiß, wie schön das gelingen wird.

Aber der Beginn war vielversprechend. Andere junge Stürmer wie Robert Lewandowski brauchten Wochen oder gar Monate, bis sie überhaupt auffielen im Spiel des BVB, und auch ein Pierre-Emerick Aubame­yang vergaß über den strategischen Anspruch des Dortmunder Fußballs anfangs noch das Toreschießen. Dembélé ist nun schon im ersten Bundesligaspiel ein Spektakel gewesen, und er passt wunderbar zu dieser Mannschaft, die hoch veranlagt ist, aber auch noch ganz und gar unvollendet.