Reise-Führer Kein Bundesland bietet eine solche Vielfalt an Neonazis: Entdecken Sie rechte Musterdörfer und völkische Wohnprojekte, erleben Sie Rechtsextremisten bei der Arbeit und beim Shoppen
: Auf rechten Pfaden

Von Lübtheen nach Anklam: Eine Reiseroute zu den wichtigsten rechten Sehenswürdigkeiten in Mecklenburg-Vorpommern Illustration: Stephanie Franziska Scholz

„Lindenstadt“ nennt sich die Kleinstadt im Südwesten Mecklenburgs. Die Bäume säumen viele ihrer Straßen, auf ihre slawische Bezeichnung „lipa“ geht der Name der Stadt zurück. In ihrem Herzen, am Ernst-Thälmann-Platz, können Sie Politikern der rechtsextremen NPD bei der Arbeit zuschauen. Im „Bürgerbüro“ bieten die Landtagsabgeordneten Udo Pastörs und Stefan Köster donnerstags und freitags So­zial­beratung an, vor allem für Hartz-IV-Empfänger. Nebenan befindet sich der „Kulturraum“ der NPD, wo Liederabende, Plattdeutschkurse oder Handarbeitsrunden für Frauen veranstaltet werden. Besucher brauchen jedoch etwas Glück, um einen dieser Heimatabende zu erleben – sie werden nicht öffentlich beworben. Ebenfalls sehenswert: das Musterdorf aus der Nazi­zeit im Stadtteil Benz-Briest, wo Udo Pastörs residiert.

In Wittenburg leben die deutschen Reichsbürger. Sie erkennen die Existenz der Bundesrepublik nicht an und besitzen als Bürger des „Deutschen Reichs“ eigene Personalausweise und Reisepässe. Daher fühlen sie sich auch nicht verpflichtet, Strafzettel zu zahlen, und basteln sich ihre eigenen Nummernschilder. Highlight der Stadt ist das Rathaus von 1852, ein bedeutendes Werk des Historismus. Man kann als Tourist allerdings nicht einfach hineinspazieren. Nach Übergriffen durch Reichsbürger auf die Bürgermeisterin Wittenburgs und andere Rathausmitarbeiter müssen Besucher klingeln und werden an der Pforte abgeholt.

Das Schweriner Schloss, einst Sitz der mecklenburgischen Herzöge und Großherzöge auf einer Insel im Schweriner See gelegen und von einem romantischen Burggarten umgeben, ist zu Recht der Touristenmagnet der Stadt. Heute beherbergt es den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns. Dort haben auch die fünf Abgeordneten der NPD ihre Büros.

In der Lübecker Straße können Sie einen Laden des Modelabels Thor Steinar besichtigen. Die Klamotten sind besonders bei Rechtsextremisten beliebt – vielleicht sehen Sie welche beim Shoppen. Der taz-Tipp: Wenn Sie dort unbedingt einkaufen wollen, machen Sie das nach Ihrem Besuch im Schweriner Schloss. Das darf mit Thor-Steiner-Kleidung nämlich nicht betreten werden.

In Grevesmühlen wird Ihnen bei der Durchfahrt das Thinghaus auffallen, das auf den ersten Blick an ein Wildwest-Fort erinnert. Blickdichter Bretterzaun, Stacheldraht und ein Wachturm schützen das Gebäude, das der rechten Szene als Konzerthalle dient. Vor Kurzem trat die Band Hausmannskost hier auf und erfreute die Besucher mit Liedern wie „Deutsches Volk wach auf!“.

Neben dem Veranstaltungszen­trum beherbergt das Thinghaus ein Bürgerbüro der NPD-Abgeordneten Udo Pastörs und Stefan Köster.

Der taz-Tipp: Konzerte im Thinghaus sollten Sie nur besuchen, wenn Sie dem Dresscode entsprechen. „Linksextreme“ sind nicht erwünscht. Außerdem bietet das Thinghaus laut Homepage nur jenen ein Zuhause, „denen die Begriffe Vaterland und Freiheit noch nicht fremd geworden sind“.

Das Highlight der Reise: Sonnwendfeiern, Geburtstagspartys oder Hochzeiten, Jamel ist ein wichtiger Veranstaltungsort für die rechte Szene und zieht drei- bis viermal im Jahr mehrere hundert Rechtsextreme an. Doch auch abseits der Feste ist Jamel ein außergewöhnlicher Ort. Acht von elf Häusern werden mittlerweile von Rechtsextremen bewohnt. Ihr Verständnis von einem deutschen Musterdorf zeigt sich an einer bemalten Garagenwand, die jeder Besucher Jamels besichtigen kann. Eine riesige goldene Irminsul, ein wichtiges Heiligtum der Sachsen, das heute Neonazis als Erkennungszeichen dient, wird von einer Gruppe von Männern aufgestellt, darüber steht: „Von Freiheit singt der Wind“. Daneben ist ein Elternpaar abgebildet, das im Schutz der Schwingen eines Adlers seine Kinder betrachtet. Eine weitere Sehenswürdigkeit des Dorfs ist ein Wegweiser, der Besucher darauf hinweist, dass die „Ostmark“ 908 Kilometer von Jamel entfernt ist und Hitlers Geburtsort Braunau 855. Autokennzeichen mit rechten Zahlenkombinationen wie „88“ runden das Ambiente ab.

Das Ehepaar Lohmeyer veranstaltet am 26. und 27. August zum zehnten Mal das Festival „Rock den Förster“ in Jamel. Ein Festival, das demokratischen Wind ins Dorf bringen soll. Da acht andere Parteien den Wind aber von Freiheit singen lassen und unter Freiheit keine Demokratie verstehen, sind die Nachbarn der Lohmeyers von der Veranstaltung nicht begeistert. 2015 wurde die Scheune des Ehepaars in Brand gesteckt.

Hügel, Seen und ausgedehnte Weiden bietet die Mecklenburgische Schweiz, in der das Dorf Klaber liegt. Der gleichnamige Gutshof dient mehreren Handwerkern als Werkstatt. Als Nazis wollen sie nicht bezeichnet werden, Produkte für Nazis stellen sie jedoch her. Steine, in die eine Irminsul eingemeißelt wurde, und Holzketten mit einem Dreischild, dem Symbol der Gemeinschaft deutscher Frauen, gehören zum Sortiment des Souvenirladens. Richtig nah an die Lebenswelt der Bewohner kommen Sie bei einer Kutschfahrt durch das malerische Umland, die Sie beim Klaberhof buchen können. Rechte Familien, die sich in der Gegend angesiedelt haben, hatten ursprünglich noch viel größere Pläne: Eine eigene Schule und ein Kindergarten waren geplant, eine Siedlung wollten sie gründen, bestehend aus Bauern und Handwerkern, die sich selbst versorgen können. Das Projekt ist gescheitert, auch wegen des Widerstands der Nachbarn, die sich an Zeitungsberichten über die politische Vergangenheit der Siedler störten. Der Gutshof ist das Überbleibsel des völkischen Siedlungsprojekts und sollte auf einer Reise durchs rechte Mecklenburg-Vorpommern nicht fehlen.

Wer es wagt, im Winter durch Mecklenburg zu reisen, kann beim Nazimarsch um den Tollensesee zusehen. 40 Kilometer lang ist der Weg, den die Teilnehmer jedes Jahr im Februar bei oft schwierigen Wetterverhältnissen zurücklegen. Der Marsch dient angeblich dem Andenken an Horst Wessel. Der SA-Sturmführer starb am 23. Februar 1930 nach einem Kopfschuss und wurde von den Na­tio­nalsozialisten als Märtyrer glorifiziert. Die Veranstalter des Tollenseseemarschs, die sich als Nationale Sozialisten bezeichnen, verneinen jedoch die Verbindung zu Wessels. Bei einem Besuch des Tollensemarschs muss mit kurzfristiger Terminänderung gerechnet werden. Die Organisatoren fühlten sich aufgrund hartnäckiger Proteste „geblendeter Gutmenschen“ in der Vergangenheit schon einmal gezwungen, die Veranstaltung zu verschieben.

Am Tollensesee liegt das Nazimusterdorf Alt Rehse, das ab 1934 gleichzeitig mit einer Reichsärzteschule erbaut wurde. Die Fachwerkhäuser zieren noch immer Aufschriften wie „Haus Pommern“ und der Hinweis, dass dieses „im 4. Jahr“ nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erbaut wurde. Eine Gedenkstätte erzählt die Geschichte des Orts. Um Anschlägen von Rechten vorzubeugen, bleibt die Gedenkstätte Alt Rehse am Tag des Tollenseseemarschs geschlossen.

In Postlow einen Stopp einzulegen, lohnt sich auf jeden Fall. Das Dorf ist eine der Hochburgen der Rechten: 22,3 Prozent erreichte die NPD bei den Kommunalwahlen 2014, 2006 bei der Landtagswahl sogar 38,2. Wie stark die Rechten sind, zeigte sich auch bei dem Streit um die Wahl des Feuerwehrchefs vor zwei Jahren. Einstimmig war ein rechtsextremer Musiker für diese Funktion bestimmt worden. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald entschied jedoch, dass auch sogenannte Ehrenbeamte sich der Verfassung verpflichtet fühlen müssen. Postlow musste einen neuen Wehrführer suchen.

Ein Besuch der 13.000-Einwohner-Stadt bietet den perfekten Ausklang einer Reise durch das rechte Mecklenburg-Vorpommern. Das Gebäude in der Pasewalker Straße 36 ist das Highlight der Stadt. Hier betreibt Michael Andrejewski, Landtagsabgeordneter der NPD, sein Bürgerbüro und seine Anwaltskanzlei. Außerdem sitzt der Pommersche Buchdienst im Haus, der Bücher wie „Der Vertreibungs-Holocaust“ verkauft, ein Buch über den „verschwiegenen und unterdrückten Völkermord am Deutschen Volk“. Der Buchdienst hat in einem Ladenlokal eine Volksbücherei eingerichtet, in der für 18 Euro Mitgliedsbeitrag die Werke des Verlags ausgeliehen werden können.

Unbedingt besichtigt werden sollte auch der „Schlomi Treff“, der sich ebenfalls in der Pasewalker Straße befindet. Der Secondhand-Laden wurde von der aus der Schweiz stammenden Jüdin Yehudit Bracha Bachmann eröffnet, die nach Anklam gezogen ist, um sich ihrer Angst vor den Neonazis zu stellen – und ihnen die Stirn zu bieten.

Texte und Recherche: Anastasia Hammerschmied

Mitarbeit: Andreas Speit, Konrad Litschko

Idee: Julia Genth