CSU kläfft Merkel an

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Aus dem Ausland gehen erste Glückwunschtelegramme ein, doch zum Durchatmen bleibt Angela Merkel keine Zeit. Kaum hat die SPD-Führung ihren Anspruch auf das Kanzleramt endlich akzeptiert, wird ihre Autorität schon wieder in Frage gestellt. Und eifrig am munteren Merkel Schwachreden beteiligt sich auch die Schwester CSU.

Gleich nach der Einigung über die Postenverteilung in einer großen Koalition zwischen Union und SPD (acht zu acht) brach SPD-Chef Franz Müntefering eine Diskussion vom Zaun, ob Merkel als Kanzlerin über eine Richtlinienkompetenz verfügen werde. Die steht zwar im Grundgesetz, ihre Anwendung durch Merkel sei jedoch „nicht lebenswirklich“, befand Müntefering. Für diese Verschärfung des Tons noch vor Beginn der offiziellen Koalitionsverhandlungen am Montag bekam der SPD-Chef prompt Zustimmung aus Bayern. Es gebe „natürlich immer einen Unterschied zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit“, erklärte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos und kam wie Müntefering zu dem Schluss: Merkel werde als Regierungschefin nur eine stark eingeschränkte Richtlinienkompetenz haben. „Am Ende kann es sein, dass die Kanzlerin die Richtung vorgibt“, hatte CSU-Chef Edmund Stoiber schon vorher wissen lassen, „aber in einer großen Koalition ist das nur in dosierter Form möglich.“ Von einem „Weisungs- und Direktionsrecht“ Merkels könne jedenfalls keine Rede sein, sagte der designierte Wirtschaftsminister über seine künftige Chefin am Montagabend vor der bayerischen Landtagspresse.

Gestern, zurück in Berlin, schwieg Stoiber dann lieber zum Richtlinien-Thema. Was Merkels Helfer in ihrer Theorie bestätigt, mit der sie sich beruhigen: Hunde, die bellen, beißen nicht. Die Angriffe aus München werden in Berlin mit einem „psychologischen Problem“ erklärt. Stoiber sei wohl wieder mal frustriert, weil er sich nach dem Kanzleramt auch noch das Außenministerium abschminken musste, hieß es. Außerdem wolle er von eigenen Schwierigkeiten ablenken.

In der Tat läuft Stoiber zusehends Gefahr, die Kontrolle über seine Nachfolge als Ministerpräsident zu verlieren, für die sich Innenminister Günther Beckstein und Staatskanzleichef Erwin Huber beworben haben. Am liebsten, heißt es, würde Stoiber Beckstein mit nach Berlin nehmen und Huber als Chef in Bayern installieren.

Doch zu diesem Deal scheint Beckstein bisher nicht bereit, weil er lieber lange Ministerpräsident in München als Minister in einer wackligen Koalition in Berlin werden möchte – und weil ihm parteiintern gute Chancen eingeräumt werden, gegen Huber zu obsiegen. Alles nur ein bayerisches Problem? Keineswegs. Der ungeklärte Machtkampf in München wird auch für Merkel zur Belastung. Sie hat der CSU den freien Zugriff auf zwei Ministerien eingeräumt – und so lange die CSU nicht sagt, welches Ministerium sie neben dem Wirtschaftsressort besetzen will, kann Merkel die verbleibenden Ämter nicht innerhalb der CDU verteilen. „Alles hängt mit allem zusammen“, sagt ein Unions-Insider, „und vieles hängt an der CSU.“ Kommt Beckstein, kann zum Beispiel Wolfgang Schäuble nicht Innenminister werden. Weil Merkel den erfahrenen Schäuble aber unbedingt an ihrer Seite wissen möchte, muss sie ihm andere Jobs freihalten, etwa das Verteidigungsministerium. Ihr Wunschkandidat für den Fraktionsvorsitz, Volker Kauder, wiederum kann erst dann eine Zusage bekommen, wenn auch Schäuble einen Job hat, mit dem er zufrieden ist. Je länger dieses Machtvakuum anhält, desto unruhiger dürfte es in der Union werden, wo ohnehin viele der Meinung sind, Merkel habe für das Kanzleramt einen zu hohen Preis bezahlt.

Kaum gekürt, wirkt Merkel wie umstellt. Doch das ist sie ja gewohnt. Auch als sie vor fünf Jahren Parteichefin wurde, galt Merkel als „Königin ohne Land“. Dafür ist sie weit gekommen.