Die neue Mitte der Verzagten
: Kommentar von Christian Semler

Jäh ist das großflächige Projekt „neue soziale Marktwirtschaft“ von der Agenda der CDU verschwunden. Das hat nicht nur – angesichts des Wahlergebnisses nahe liegende – taktische Gründe. In der CDU grassiert Unsicherheit. Bei den Wahlen hat die „Mitte“, die „Mehrheitsklasse“ der Gesellschaft, sich nicht mehrheitlich dem durch die neoliberalen Glaubenssätze Merkels vorgezeichneten Weg angeschlossen.

Schröders „neue Mitte“ von 1998 war ein propagandistisches Konstrukt. Mit dessen Hilfe wollte die SPD-Führung auf der Welle der IT-Euphorie schwimmen und die in den vorgeblichen Avantgarde-Technologien Beschäftigten auf ihre Seite ziehen. Mit dem Crash von 2001 verschwand sowohl des Neue an der Mitte als auch sie selbst aus dem SPD-Arsenal. Die Union versuchte schon bei der Wahl von 2002 die „Mitte“ als politischen Kampfbegriff zu reaktivieren. Mit dem Leipziger Parteitag 2003 sollte die „Mitte“ zum Leistungsträger stilisiert werden, der Opfer auf sich nimmt. Das Gemeinwohl wurde aus dem Arsenal geholt, Angela Merkel wollte ihm dienen – als dienende Dienstherrin.

Aber gerade die „Dienstklassen“, voran die Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit ihrer scheinbar gesicherten Existenz, waren bereits von den Turbulenzen der rot-grünen Reformen erfasst. Ihnen wurde nicht warm ums Herz angesichts des Merkel’schen Aufbruchs, sie befürchten – empirische Erhebungen bestätigen es – noch mehr vom bereits Schlechten. In der Gesellschaftswissenschaft spricht man bereits vom um sich greifenden Gefühl der Verwundbarkeit, das immer mehr Schichten des prekären Wohlstands ergreift. Das ist oft eine Sorge auf gehobenem Niveau, aber sie hat ihre reale Ursache darin, dass mit dem sorgenden Staat auch für die Mittelschichten nicht das Übermaß der Fürsorge, sondern jede Sicherheit schwindet.

Jetzt kriecht die Angst das CDU-Präsidium hoch. Wer bürgt für Stabilität, wenn die Mitte, Hort der Stabilität, zum Zentrum der Verzagtheit wird? Und wenn gerade der Neoliberalismus zum gesellschaftlichen Auseinanderfall führt? Bis jetzt ist nichts zu hören, außer: Die Deutschen wollen Leistung, gemeinsam schaffen sie es. Nichts als Beschwörungsformeln.