Brasiliens Fanwesen, lautstark ungerecht

PUBLIKUM Nein, fair und gerecht sind die Männer und Frauen aus Brasilien, die in Rio Sportler*innen anfeuern und niederpfeifen, nicht. Neymar und Hope Solo leiden darunter besonders

Brasiliens Fans sind bekannt für ihre Leidenschaft. Das ist ein Klischee, das ist im wirklichen Leben aber auch echt so. Es ist ein Fest, dabei zu sein, wenn sie die ihren anfeuern, bekreischen, besingen und immer neue Sprechchöre erfinden. So ist es in jeder olympischen Sportart – das Feiern ist wichtiger als gründliches Wissen über die Sportart, um die es gerade geht.

Allerdings können sie zu Hause auch ganz schön nervig sein, diese brasilianischen Fans. Diejenigen, die mit ihren Landsleuten wettstreiten, werden gnadenlos ausgebuht und ausgepfiffen. Eigentlich immer. Zum Beispiel bekam dies ein japanischer Tischtennisspieler zu spüren, der sichtlich Mühe hatte, sich im Spiel gegen einen Brasilianer beim Aufschlag zu konzentrieren. Da hilft auch nicht, dass die einleitende Stimme vor den Wettkämpfen das Publikum bittet, sportlich zu sein und niemanden auszupfeifen.

Das Problem ist auch in Brasilien erkannt und sorgte schon 2007 bei den Panamerikanischen Spielen in Rio für Unmut: Sofern eine brasilianische Sportlerin, zum Beispiel beim Weitspringen, dabei war, wurden alle anderen Springerinnen bei ihren Auftritten unterschiedslos ausgebuht. Die große Zahl der Pfeifer*innen und die weniger patriotischen brasilianischen Fans gifteten sich damals sogar über das richtige Fan-Verhalten auf den Tribünen an. Gar wurde die Sorge laut, ob sich diese hässliche und unfaire Marotte bis zu den möglichen Olympischen Spielen in Brasilien noch verändern würde.

Gemein können die einheimischen Fans aber auch zu ihren Schützlingen sein, wenn diese so richtig patzen. Zuletzt im Männerfußball, als Superstar Neymar und weitere Topspieler verzweifelt und vergebens versuchten, ein Tor gegen Außenseiter Irak zu erzielen. Statt dummer Sprüche gegen den Schiedsrichter oder den Gegner riefen Zehntausende Fans nur einen Namen: „Marta!“ – das Idol des Frauen-Fußballteams, das gerade die starken Schweden und zuvor schon China geschlagen hatte.

Auf alle Fälle sind die Fans richtig bei der Sache, gut informiert und kreativ: Hope Solo, Torhüterin der US-Fußballerinnen, wird bei jeder ihrer Aktionen auf dem Spielfeld mit lautstarken „Zika“-Chören verhöhnt. Sie hatte vor der Reise nach Rio Fotos gepostet, um zu zeigen, wie intensiv sie sich gegen das von Mücken übertragene Zika-Virus schützen wolle. Kam nicht gut an in Brasilien, wo einfach alle der Epidemie ausgesetzt sind und sich nicht überlegen können, ob das Risiko zu groß sei, für zwei Wochen dorthin zu fahren. Andreas Behn