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Bizarre Verführer

ZU TODE QUATSCHEN Risiken und Nebenwirkungen des kreativen Prozesses: In Frankfurt zeigte die Forsythe Company „Theatrical Arsenal II“. Eine Show mit Gott und Antichrist

In einen Arbeitsraum mit Schreibtisch, Laptop, Papieren und Mikrofonen laufen die Tänzer ein

VON ESTHER BOLDT

Gott sitzt gut gelaunt im Hintergrund, sichtlich zufrieden mit der Welt. Gelbe Rastafransen verhängen sein Gesicht, er trägt pinke Hotpants und sonst nicht viel. Auch der Antichrist trägt gute Mine, ein Hulk-T-Shirt und blaue Pumphosen. Zwischen beiden stakst eine Predigerin mit manischem Bekenntnisdrang auf Highheels umher. Sie beschwört das Publikum, sich ja nicht dem Falschen zu verschreiben: „Satan dressed up like Jesus! He is a copycat!“, der Antichrist ist ein Nachäffer.

In „Theatrical Arsenal II“, das jetzt im Bockenheimer Depot in Frankfurt Premiere hatte, interessiert sich der Choreograf William Forsythe allerdings mehr für die Kopie als für das Original. Steil und heiter setzt sich das Stück auf die Spuren von künstlerischer Schöpfung, von Erhabenem und Komödie. Dabei remixt Forsythe sowohl fremdes als auch eigenes Material, verschiebt den Rahmen und mit ihm den Blick.

„Theatrical Arsenal II“ ist eine Maskerade-Show als Nummernrevue, die die Tänzer als Dragqueens, Geschichtenerzähler, Geräuschemacher und Erlöserfiguren absolvieren. Ihre Kostüme packen das Theater bei seiner Verwandlungslust, füllen sein Pathosprinzip mit einer guten Prise Ironie auf und machen die Tänzer zu falschen Fuffzigern. In einem Arbeitsraum mit Schreibtisch, Laptop, Papieren und Mikrofonen laufen sie ein, begleitet von einem überspannten Regisseur (David Kern), der eingangs wortringend Risiken und Nebenwirkungen des kreativen Prozesses beschreibt. Und von Dana Caspersen, die die jeweils nächste Szene aufruft: „This music, these people and you.“ Einige Tänzer zeigen die dezentrierten, von innen aus gespannten und zerborstenen Bewegungen, die eine Besonderheit des Forsythe-Vokabulars sind, andere loten Relationen aus, bis Caspersen unterbricht: „Thank you.“ Abgang.

Anschwellender Redefluss

Höchst unterhaltsam werden etliche Shows angerissen: Bekehrungsshow, Sterbeshow, Kochshow, Travestieshow. Lauter Verführungsnummern, die Entertainmentformate wie Broadway-Musicals, Popkonzerte und TV-Shows parodieren und keine Angst vor schlechten Scherzen haben, denn hier steht auch das leicht hingeworfen Wirkende unter Komplexitätsverdacht. Ständig versucht einer, plappernd die Bühnensituation zu benennen – vor allem mithilfe von Songtexten.

Legenden wie Barbra Streisand, Stephen Sondheim und Nirvana werden heranzitiert. In „I don’t believe in outer space“ hatte Forsythe 2008 so Gloria Gaynors Schnulze „I will survive“ neu hörbar gemacht. An diesem Abend stellt der Redefluss vor allem einen reizvollen Widerspruch her zur Flüchtigkeit von Tanz und Performance, denn in ihrer Bezeichnung ist die Bewegung schon immer vorüber.

Forsythe interessiert sich offenbar für den kleinsten gemeinsamen Nenner von Unterhaltung und Theater: Alles Erhabene, erklärt Dana Caspersen, wird eines Tages Komödie. Entweder weil es im Kern schon immer komisch war. Oder weil sich der Staub der Jahre auf ihm niederlässt. Wie der Tanz ist das Erhabene also vergänglich, wird es von der Zeit angefressen, so offenbart es seine Komik. Folgerichtig gerät der streng gesetzte Rahmen langsam aus den Fugen.

Schöpfungsakt am Ende

Als zur Schau gestellte Reihung von Theatermomenten ist „Theatrical Arsenal II“ auch ein Arsenal der Themen, die Forsythe letzte Arbeiten prägen: die Reflexion der Rezeptionssituation, das Produzieren von Sprachstörungen, die Versammlung grotesker Bühnenfiguren, das stete Kippeln des Tragischen ins Komische, versehen mit popkulturellen Elementen. Dabei wird evident, dass seine Tänzer allesamt hervorragende Performer sind, bizarre Verführungsgestalten, die uns die Bruchkanten ihrer Identität offerieren. Im Theaterarsenal untersucht die Forsythe Company auch die Schwelle von Tanz und Performance. Mehr als einmal erinnert dieser Abend an Arbeiten der britischen Performancegruppe Forced Entertainment, deren Spieler in schlecht sitzenden Kostümen billige Witze herausplappern, stets das Hergestelltsein der Szenerie thematisieren und den Zuschauer ermahnen: „There is a word for people like you: Audience!“

In „Spectacular“ ließen die Briten letztes Jahr gezielt die Szenerie in Langeweile abrutschen. Auch Dana Caspersen droht das Publikum zu Tode quatschen: „And then you realize: That this is the show that’s gonna bore you to death.“ Dann wird es still. Yasutake Shimaji und Tilman O’Donnell tanzen ein letztes, berührendes Duo. Und Caspersen lässt alles verschwinden, was Theater ausmacht: Kontinuität, Selbstbeobachtung, Gestaltung, Vision. Für immer verschollen, sagt sie, sind Blasphemie und Parodie. Der Schöpfungsakt ist am Ende. Nehmen und lassen, rezipieren und verlieren wird zu einer einzigen Bewegung – oder, wie es zuvor mit den Red Hot Chili Peppers hieß: „You gotta put it in give it away now.“

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