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Kolumne Deutschland, was geht?Das nicht so saubere Deutschland

Wenn die Geflüchteten uns eines lehren, dann dies: Der braune Bodensatz ist gar nicht am Boden und er kann recht bunt daherkommen.

Jägerzaun schützt Trinkwasser: So hätten es die sauberen Deutschen gern Foto: dpa

W ie so oft fahre ich im Auto an einem unscheinbaren Gebäude irgendwo im Norden Berlins vorbei und merke an den Menschen, die halb gelangweilt, halb vergessen vom Rest der Welt davor sitzen, dass es sich um eine Unterkunft für Geflüchtete handeln muss.

Ihr Anblick beschäftigt mich noch lange. Plötzlich denke ich: „Deutschland ist euch zu Dank verpflichtet“. Kein Scherz, ich glaube wirklich, wir alle müssen den Geflüchteten tatsächlich dankbar sein.

In meinem Ohr klingt einer meiner Lieblingstexte aus meiner Poetry-Slam Zeit an. In ihm erzählt der Künstler von den großen Kämpfen der Vergangenheit und davon, wie nichts davon übrig geblieben sei: „Manchmal wünschte ich mir, Franz Joseph Strauß würde noch leben, damit ich endlich wieder wüsste wofür und wogegen ich noch kämpfen soll, wenn doch alle Pfade längst geebnet sind, alle Bibeln längst gesegnet sind“.

Spätestens seit dem „die Flüchtlinge“ nach Deutschland gekommen sind, ist es aus mit der vermeintlichen Ruhe und Monotonie. Wem der NSU, rechtsradikale, islamophobe und antisemitische Straftaten nicht gereicht haben, um sich gesellschaftspolitisch zu engagieren, bei dem dürfte spätestens jetzt etwas geklingelt haben. Und das sage ich ganz frei von Ironie, Sarkasmus oder Galgenhumor.

Rassismus ist sagbar geworden

Bis vor kurzem wurde jeder, der der Meinung war, dass es in Deutschland Dinge wie Rassismus gibt, lauthals ausgelacht und galt als überempfindlich oder paranoid.

Rassismus existierte für die breite Masse schlichtweg nicht. Dass Menschen, die durchs Raster fallen, also auffallen, ihn tagtäglich hautnah erlebten, war für die Debatte nicht ausschlaggebend. Es zählten die Erfahrungen und Meinungen der autochthonen deutschen Mehrheit.

Wenn die Geflüchteten uns eins gelehrt haben, dann, dass der sogenannte braune Bodensatz der Gesellschaft auf den ersten Blick gar nicht so braun daher kommt und sich vor allem nicht am Boden bewegt.

Fremdenfeindliche Einstellungen sind tief inmitten unserer Gesellschaft verankert, nicht erst seit heute. Der Punkt ist: Geflüchtete haben das allein durch ihre Existenz ans Tageslicht gebracht. Rassismus als Begriff ist sagbar geworden.

Wir sind die Zivilgesellschaft

Für einen großen Teil der Gesellschaft wird es damit ein unangenehmes Erwachen gegeben haben. Andererseits können Diskurse erst geführt werden, wenn die Dinge beim Namen genannt werden. Wenn wir sie definieren können, können wir mit ihnen umgehen.

Es ist nicht nötig, dass jeder Einzelne nun die schlimmen Zustände in den Unterkünften bemängelt und für freie und sichere Fluchtwege auf die Straße geht. Eine offene Debatte muss eine breitere Palette an Standpunkten zulassen, auch, wenn es einem persönlich nicht passen mag. Das nennt sich dann Demokratie. Am Ende seines Textes fleht der Künstler das Publikum förmlich an: „Bitte sag mir, was man von uns erwartet. Bitte sag mir, wer wir sind.“

Wir sind die Zivilgesellschaft. Und wir müssen voneinander erwarten, dass wir hier in Deutschland jeden Tag für genau diese Demokratie einstehen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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3 Kommentare

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  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    "Rassismus existierte für die breite Masse schlichtweg nicht."

     

    Vielleicht haben sie aber auch nur die ein oder andere Lichterkette, das ein oder andere Pogrom, den verzweifelten Kampf Zigtausender gegen das Asylsystem, unter dem heute die Menschen leiden, nicht mitbekommen. Weil sie zu jung sind.

     

    Einen Unterschied macht doch eher die heute umsichgreifende Feindlichkeit gegen Muslime. Da sie selbst von dieser betroffen sind, gehen ihnen hier Begriffe und Geschichte durcheinander.

     

    Dieses tägliche Einstehen, was sie fordern, ist das nicht bereits eine Leerformel geworden? Umgeben von jungen Studierenden habe ich den Eindruck, der eingebildete und/oder reale Druck ist so groß, dass man nur noch für sich selbst einsteht oder dort, wo man keine persönlichen Nachteile in den Konkurrenzen befürchtet. Und wenn schon die Studierenden sich nicht mehr über Einzelne hinaus bewegen, dann ist das doch ein Gespensterdiskurs: Zivilgesellschaft, Einstehen für die Demokratie, Tag für Tag. Viele gehen nicht einmal wählen, andere Viele wählen die politischen Verkörperungen von Ellbogen und Ressentiment.

     

    Wer heute kritisch reflektiert, kommt nicht mehr daran vorbei den ökonomischen Diskurs mit solchen der Ausgrenzung bestimmter Gruppen und den Symbolpolitiken (Appelle an die Zivilgesellschaft z.B., wozu übrigens auch Pegiada & Co gehören) zusammenzudenken. Nur so versteht man, wieso die Toleranz im einem sozialen Raum mit (oft nur stiller/passiver) Ausgrenzung in anderen Feldern so gut zusammengeht. Nur so versteht man, wieso es keine progressive Front mehr gibt, keine übergreifenden Solidaritäten. Dass z.B. die Zivilgesellschaft heute ein hochproblematischer Begriff geworden ist. Warum Wagenknechts populistische Einlassungen so problematisch sind usw. usf.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Jugend kann die Wahrnehmung beeinflussen, schon klar. Nur: Wenn "die breite Masse" wirklich "nicht mitbekommen" haben sollte, dass es in diesem Land schon Lichterketten gab, das "ein oder andere Pogrom" seit 1945 und "den verzweifelten Kampf Zigtausender gegen das Asylsystem", dann sicher nicht "weil sie zu jung sind."

       

      Die Unter-20-Jährigen machen nicht einmal 20% der Einwohner Deutschlands aus. 80% aller Leute hier sind über 20. Mir scheint, das ist genau jene "Masse", die Verantwortung besitzt für Flüchtlinge, sie aber ungern wahrnimmt. Auf ihr Alter können diese Leute sich nicht gut rausreden. Woran, also, liegt es wirklich?

       

      Längst bereitet ein stressiges Studium die jungen Leute auf einen noch stressigeren Berufsalltag vor. Der der durch immer steilere Hierarchien zusätzlich erhöhte "Druck" ist inzwischen fast überall so groß, dass auch gestandene Erwachsene das Gefühl haben, sie könnte bestenfalls noch "für sich selbst einstehen", und auch das nicht immer. Die Anforderungen, die eine "moderne Gesellschaft" via Massenmedien an das Privat-Idividuum stellt, kommen noch oben drauf.

       

      Wir leben in einer Konkurrenzgesellschaft. Nicht, weil uns der Wettbewerb quasi im Blut läge, sondern weil sich die Herrscher was davon versprechen. Besondere Anerkennung, einen besonders hohen Lebensstandard oder einen besonders großen Einfluss auf Entscheidungen der sog. Weltgemeinschaft z.B.. Die Kehrseite der (olympischen) Medaille sind jede Menge Abgehängte und Prekäre. Beides, sowohl der Druck am "oberen Ende" der sog. Fresskette, als auch das Gefühl des Abgeschriebenseins am unteren, sind sehr schlechte Voraussetzungen für die Entwicklung von Verantwortung.

       

      Ja, eigentlich dürften wir um das Zusammendenken sozialer und ökonomischer Sachverhalten nicht mehr umhin kommen. Eigentlich. Leider haben wir (fast) alle gelernt, uns erfolgreich zu drücken. Die Einen früher, die Anderen später. Für alle aber war das Lernen schmerzhaft. Das ist nun mal der Preis der Ideologie.

      • 2G
        24636 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        Das "zu jung" bedeutete hier: mit gewissen konkreten Konflikten nicht sozialisiert worden zu sein. Wer damals nicht in Lichtenhagen war, weil er gerade geboren wurde, der kommt eben zu anderen Einschätzungen. Frau El-Hassan setzt einen anderen Fokus. Ich fand das schon in ihrer letzten Kolumne interessant. Es ist aber auch problematisch.

         

        Mir geht es vor allem darum herauszustellen, dass "die Linke" (Befreiungstheoretisch verstanden) sich heute in Nischen und Asyle zersetzt hat. Jeder hockt in seinem Asyl und bearbeitet dabei seinen Zugang, unterlässt aber meist die übergreifende und an die strukturellen Zusammenhänge sowie die geschichtliche Dimension heranreichende Reflexion. Diese Spezialisierung führt dazu, dass die Wasser am Ende immer seicht bleiben, die Kritik also konsumierbar portioniert wird. Auch am derzeit populären netzfeministischen Diskurs gut zu beobachten, wo Class Matters heute randständig ist.

         

        Das geht hier nicht einfach an Frau El-Hassan, denn die taz im Hier und Heute sortiert und organisiert sich ja bewusst in dieser Hinsicht. So lässt sich unaufhörlich im heutigen Schlag dasselbe schreiben und der Anschein wahren, das sei Kritik der Verhältnisse. Wie hohl und flach die aber stellenweise ausufert und sich zerstreut, verliert sich aus dem Blick.

         

        Wenn selbst jemand wie Streeck sich heute als Randfigur betrachtet, dann spricht das Bände. Dennoch fehlt das Diskursszenario warum dem so ist. Nach zwei Wochen, spätestens, ist jeder noch so laute Knall (ob Streecks Oxi-Interview, Schmids Heinrich Böll Stiftungs-Studie [schrieb die taz irgendwas?] oder Eribons Interview auf ZEIT Online) vergessen.