Knäuel, bei dem es schon mal ein paar böse Auas gibt Foto: Themba Hadebe/ap

Kontaktsport mit Flow

Rugby Sie laufen und sie raufen. Sie tackeln und fletschen die Zähne. Zum ersten Mal seit 1924 ist Rugby wieder olympisch. Heute um MitternachtFinale der Frauen. Ein Besuch bei den Spitzenteams

Aus Rio Markus Völker

Wer Huriana Manuel in der Mixed Zone verpasst hat, der bekommt noch eine zweite Chance. Die Kapitänin der Black Ferns, der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft, steht hinter der Tribüne im Zuschauerbereich und schießt Fotos mit ihrem Freund.

Hier kommen sie alle mit Familie und Freunden zusammen, die Spielerinnen Tyla Nathan-Wong oder Sarah Goss. Und weil man nun mal da herumsteht mit seiner Presse-Akkreditierung um den Hals, wird man gebeten, von allen Neuseeländerinnen und Neuseeländern ein Foto zu schießen. Cheese.

Die Stimmung ist gut. Journalisten sind ausdrücklich willkommen. Es ist ein besonderer olympischer Moment, denn die Spielerinnen der Rugby-Nation schlechthin demonstrieren nicht nur Volksnähe, sondern freuen sich auch über die gelungene Premiere ihres Sports bei den Spielen.

Erstmals seit 1924 hat es Rugby wieder ins olympische Programm geschafft, in der Variante mit sieben Spielerinnen. Neuseeland hat erst Kenia mit 52:0 überrannt und dann Spanien mit 31:5 geschlagen. Deutlicher geht’s kaum. Aber das war zu erwarten, denn auch im Siebener-Rugby dominieren die üblichen Verdächtigen. Neben Neuseeland sind das Australien, Großbritannien und Frankreich. Ziemlich stark ist auch das Team aus Kanada. Sie alle feiern in der Vorrunde hohe Siege gegen Mannschaften aus Kolumbien, Japan oder Brasilien.

Huriana Manuel sagt, dass es eine einzigartige Gelegenheit für Rugby ist, sich unter den fünf Ringen zu präsentieren. Ihre Augen strahlen. Sie versteht sich als Botschafterin des Sports, bei dem Hand und Fuß zum Einsatz kommen und mit einem Ei gespielt wird. Sie hat früh mit Rugby angefangen, weil ihre Mutter, Liza Mihinui, schon erfolgreich in der Nationalmannschaft der Schwarzen Farne spielte. Huriana Manuel ist aber eher in die Erwachsenen-Variante des Rugby hineingewachsen und da sogar 2010 Weltmeisterin geworden.

Halbzeitdauer: 7 Minuten

Rugby Union, wie es richtig heißt, wird mit 15 Spielerinnen gespielt, eine Partie geht über 80 Minuten. Und es wird in diesem weit bedeutenderen Spiel schnell klar, dass Rugby ein harter Kontaktsport ist, bei dem Cuts, Prellungen und böse Auas zum Alltag gehören.

Im Siebener-Rugby ist das ein bisschen anders. Hier ist der Name Programm: Je sieben Spielerinnen treten gegeneinander an. Und eine Halbzeit dauert sieben, ja richtig, nur sieben Minuten. Logischerweise ist auf dem Rasen mehr Platz. Wer wendig und fintenreich ist und obendrein noch Sprintqualitäten hat, der ist hier gut aufgehoben.

Es gibt kaum Gedränge, Freekicks und das übliche Gewühle, das man vom 15er-Rugby kennt. In der abgespeckten Form purzeln die Punkte, und den Zuschauern wird nicht fad, weil das Spiel einen guten Flow hat. Das hatten wohl auch die Metzger Ned Haig and David Sanderson im Jahre 1883 im Sinn, als sie das Siebener-Rugby in der kleinen schottischen Stadt Melrose nahe Edinburgh erfanden. „Siebener-Rugby ist ein komplett anderes Spiel, hier musst du spritziger sein, schneller“, sagt Huriana Manuel, die, wie viele Spielerinnen aus Neuseeland, Maori-Wurzeln hat.

Den berühmten Haka, den Kriegstanz, bei dem die Zähne gefletscht und die Augen verdreht werden, haben die Black Ferns zu Beginn des Turniers noch nicht gezeigt. Aber er wird noch kommen. „We’ll hak’“, sagt Manuel. Den Haka haben sie sich fürs Finale aufgehoben.

Das Endspiel findet ebenso wie die Halbfinals heute statt. Sehr wahrscheinlich kommt es zum Finale zwischen Neuseeland und Australien, zu dem Clash der Rugbyriesen. Das Rugby-Stadion der Sommerspiele liegt im Norden von Rio de Janeiro, im Olympiazentrum Deodoro, wo auch die Schützen, Hokeyspieler oder die Reiter um Medaillen kämpfen. Die Bahn zuckelt von den schönen Stränden Rios zwei Stunden nach Deo­doro, und, angekommen im etwa 15.000 Zuschauer fassenden Stadion, muffelt es arg nach Kloake; ein Fluss mit Abwässern quert das Olympiagelände.

Die Arena ist nicht mal zu einem Drittel voll. Stimmung machen nur drei Dutzend französische Fans. Später, als die komplett chancenlosen Brasilianerinnen antreten, schlagen auch die Fans im gelben Shirt Lärm.

Die Spiele werden im Halbstundenrhythmus durchgezogen. Die Teams treten zweimal am Tag an, was bei der kurzen Spielzeit kein Problem ist. Es geht Schlag auf Schlag. Das Olympiaturnier der Frauen im Siebener-Rugby ist zwar klein, dafür gibt es große Persönlichkeiten, zum Beispiel die Engländerin Heather Fisher.

Sie ist definitiv eine Erscheinung, mit kahl geschorenem Schädel und bulliger Statur steht sie vor einem, ist die Freundlichkeit in Person. Auf dem Platz räumt sie Gegnerinnen gern mit spektakulären Tacklings ab, sie kann aber auch behände mit dem Ball in der Hand in die Endzone sprinten.

„Persönlich hatte ich in der Vergangenheit einige Rückschläge zu verkraften, aber diese Probleme zu überstehen, hat mich stärker gemacht“, sagt Fisher, „Ich wollte es danach umso mehr schaffen, ich habe wie eine Verrückte gekämpft, und mit den Olympischen Spielen habe ich die letzte Hürde genommen.“

Heather Fisher trägt die Glatze nicht, weil sie das für ein Fashion-Statement hält, sondern weil sie eine Krankheit dazu zwingt – Alopecia areata, eine bestimmte Form des Haarausfalls. Bei der Rugby-Weltmeisterschaft 2010 gingen ihr plötzlich die Haare büschelweise aus. Sie rasierte sich den Schädel und konnte sich wochenlang nicht im Spiegel anschauen.

Sie fand sich hässlich, schämte sich, so in die Öffentlichkeit zu gehen. Mit Glatze und ihrer kräftigen Statur wird sie, wie sie in einem Interview mit der Daily Mail erzählte, von Menschen mit wenig Feingefühl immer wieder für einen Mann gehalten.

Sie sei auch schon in verschiedenen Ländern aus Frauentoiletten herausgeworfen worden. „Da gibt es lustige Geschichten zu erzählen, aber ich bin einfach ein Mensch, und den Körperbau habe ich, weil ich Sport mache.“ Sie spielt nicht nur Rugby. Sie fuhr auch schon im Bob, als Bremserin.

Sport war immer etwas, mit dem Heather Fi­sher gegen etwas ankämpfte: In ihrer Jugend litt sie an Magersucht. Bis heute muss sie aufpassen, dass sie nicht in alte Muster zurückfällt. „Ich hatte immer schon diese Sturheit in mir“, sagt sie. Im Leistungssport kann das durchaus von Vorteil sein.

Heather Fisher fände es nicht übel, wenn sie heute Nacht im Finale auf die Aussies trifft mit deren Star Ellia Green. Die Australierin ist der eigentliche Hingucker in diesem Sport, eine Frau mit großen ath­letischen Fähigkeiten, was nicht verwundert, war sie in ihrer frühen Sportkarriere Sprinterin. Als Siebener-Rugby wieder olympisch werden sollte, schulte sie um vom Laufen zum Raufen.

Fragt man sie, wie sie das findet, in kurzer Zeit ein Role Model im Frauenrugby geworden zu sein, dann sagt sie: „Das ist ein großes Kompliment. Dahin zu kommen, war kein einfacher Weg, auch wenn es rückblickend so aussehen mag.“ Sie will Gold gewinnen, aber das wollen Huriana Manuel und Heather Fi­sher auch.