Bühnensüchtig Saft trinken

Dahlia Schweitzer lebt seit zwei Jahren in Berlin – als Fotografin, Schriftstellerin, Partyveranstalterin, Elektropunk-Diva und Ex-Callgirl. Trotz mancher Selbstzweifel macht die US-Amerikanerin nichts anderes, als sich in all ihren Rollen mit dem Thema zu beschäftigen, das sie am meisten interessiert: Sex

VON JENNI ZYLKA

Auf dem Cover ihrer neuen CD beißt sich Dahlia Schweitzer in den Zeigefinger. Ihr knallig pinkfarbener Lippenstift hat auf die Haut abgefärbt. Ihr Gesicht in Großaufnahme ist gesäumt von kurzen blonden Haaren, das sichtbare Auge schwarz umrahmt, auf dem Wangenknochen kleben zwei glitzernde Noten.

Wenn das Erotik ist, dann ist es nicht besonders subtil. Sondern nahe liegend, fordernd, billig. Simpel inszenierte Wollust. Dahlia Schweitzer kommt aus New York, geboren wurde sie vor 29 Jahren in Louisiana, aufgewachsen ist sie in Washington. Seit zwei Jahren wohnt sie in Berlin-Kreuzberg; sie ist nach einem geplanten Kurzbesuch dageblieben, begeistert von den Möglichkeiten, die sie hier sah: „Boobs zeigen, das geht in Berlin.“

Heute lebt sie im karg eingerichteten Zimmer einer Zweier-WG im Wrangel-Kiez. Ein Bett, ein Fernseher, ein paar Madonna-Fotos, ein Computer, ein Hund, in den Ecken liegen Klamotten, aus denen man mit etwas Fantasie die Bühnen-Dahlia rekonstruieren kann: Die macht in Minirock, Highheels und rosa Federboa eine Art Elektropunk-Erotik-Show. Die ist eine leidenschaftlich konstruierte Kunstfigur, ein Vamp, ein Traum in Pink und Leder.

Nachmittags sieht Dahlia eher aus wie eine gut gelaunte Dänin: türkisblaue Augen im jungen Gesicht, kleiner, lächelnder Mund, blondes, strubbeliges Haar, verwaschene Jeans, olle Reißverschlussjacke. Dahlia hat zwei Persönlichkeiten, die eine sitzt mit einem Glas Saft auf dem Schreibtischstuhl, erzählt, kichert, hört interessiert und aufmerksam zu, zweifelt und würde ihre Klamotten „nicht beim ersten Date ausziehen“. Die andere ist Dahlia Schweitzer, die „Elektropunk-Diva“, die Fotografin, die Schriftstellerin, die Veranstalterin der ominösen „Blood“-Partys im Sage Club, die Ex-Stripperin, das Ex-Callgirl – vermessen und profilneurotisch.

Im Leben von beiden Dahlias geht es um Sex. Nur die Herangehensweise unterscheidet sich: Die Nachmittags-Dahlia erzählt von ihren Selbstzweifeln, davon, dass sie immer noch jemanden sucht, „einen Mann oder eine Frau, der oder die keine Angst“ vor ihr hat. Auch davon, dass sie „80 Prozent der Zeit denkt, dass es nicht funktioniert“, dieses Leben als multimediale Erotikkünstlerin. Davon, dass sie gestern eine halbe Stunde lang, „von 17 Uhr bis 17 Uhr 30“, fest davon überzeugt war, mit den Shows aufhören zu müssen, um ihre Mutter, die in Israel lebt, zu besuchen. Und davon, dass sie verrückt davon wird, wenn wieder jemand denkt, sie sei eine Art sexbesessenes „Domina-Chick“, weil sie Geschichten über Sex schreibt, weil sie es interessant findet, „wie die Energie zwischen zwei Menschen sich verändert, die nackt sind“.

Die Nachts-Dahlia, die One-Woman-Shows nach dem Peaches-Prinzip – unmelodiöser Live-Sprechgesang zu Elektrobeats – abzieht, kommt anders rüber: Die singt in ihren Texten über Sex mit Männern und Frauen und überhaupt allem, was nicht schnell genug aus dem Club verschwunden ist. Die flirtet von der Bühne aus jedeN an. Die bekommt Liebes- und Fanbriefe, auch von Frauen. Und deren zweites Buch „Sex mag ich eigentlich überhaupt nicht“, das aus freimütiger Sexprosa in der Ichperson besteht, demnächst auf Deutsch erscheint. Die Frauen in ihren Geschichten sind mehr Nachts-Dahlias: Sie sehen einen hübschen Mann und greifen zu. In „Lovergirl“, Dahlias erstem, selbst herausgebrachtem Roman – den kein Verlag veröffentlichen wollte – erzählt sie von ihrem Werdegang in der „adult industry“, als Stripperin, Internet-Porno-Queen und Callgirl. Und von ihrem Spaß am „bad girl“-Dasein. Den Konflikt zwischen „good“ und „bad“ kennt sie aus den USA – dort spielen sich die Sittenwächter bekanntermaßen mehr auf als woanders. In Berlin, denkt Dahlia, kann sie alles machen.

Was sie macht, ist so neu, so einzigartig eigentlich nicht: Es gibt eine lange Tradition weiblicher Erotikliteratur und -kunst, die zwischen Anaïs Nin, Lydia Lunch und den Vagina-Monologen alles angesprochen hat, was reingeht. Neu und glaubhaft an Dahlia sind darum auch nicht unbedingt ihre Inhalte: Die kennt man und hat sie auch schon schöner, differenzierter und kunstvoller präsentiert bekommen. Auch ihre reduzierten musikalischen Versuche, die eigentlich nur im Club und mit starker Unterstützung von Lautstärke und Drinks einigermaßen abgehen, sind es nicht. Glaubhaft ist der Kampf einer jungen Amerikanerin, einen Weg zu finden zwischen Selbstdarstellung – „Ich bin bühnensüchtig“ – und der Suche nach den dahinterliegenden Gründen.

Dahlia, beide Dahlias, sind rastlos, arbeiten unermüdlich an der Erforschung des Sex Drives, wollen den Leuten etwas geben, hinterlassen, „ein Statement machen“. Dabei verwickeln sie sich ständig in Widersprüche: Auf der einen Seite Sex, der Spaß macht, vor allem wenn der Kopf ausgeschaltet ist. Auf der anderen Seite Millionen von Leitlinien und Tabus, die Doppelmoral und die Lügen, die es vor allem Frauen schwer machen, Sex zu genießen – die meisten können ja noch nicht mal ein Stück Kuchen genießen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Dahlia wandert zwischen den beiden Seiten entlang, kickt sich immer wieder auf die eine, entdeckt sich immer wieder auf der anderen. Es macht Spaß, ihr dabei zuzugucken.

CD „Plastique“ erschienen bei Electric; Kurzgeschichten „Sex mag ich eigentlich gar nicht“, Maas Verlag; Dahlia live: heute bei der „15 Jahre Skug“-Party im Bastard, 22 Uhr